Zimmer mit Aussicht: Hayahisa Tomiyasu
Zwei Dogmen haben lange den Anspruch an dokumentarische Photographie geleitet. Eines geht zurück auf den ungarischen Photographen Robert Capa. Von ihm stammt das Zitat „If your pictures aren’t good enough, you aren’t close enough.” Danach ist ein Photo dann gut, wenn man dicht genug dran ist, also unmittelbar Teil des Geschehens wird. Zusammen mit Henri Cartier Bressons Idee des entscheidenden Moments, in dem man auf den Auslöser drücken sollte, entstand eine Vorstellung von Photographie als der Kunstform, in der es vor allem von dem Gespür und dem Mut der Photographin oder des Photographen abhängt, ob ein Bild gelingt oder nicht. Hayahisa Tomiyasu verfolgt eine ganz andere Strategie. Er photographierte aus so großer Entfernung, dass er manchmal gar nicht richtig erkennen konnte, was genau an der Tischtennisplatte vor sich ging. Seine Photos bleiben im wahrsten Sinne des Wortes distanziert. Tomiyasu wertet und bewertet das Treiben an der Platte nicht, er wählt nicht eines als das beste Bild aus. Der Reiz der Serie liegt vielmehr in der Wiederholung, der Vielfalt und dem Seriellen, das der Künstler durch die immer gleiche Perspektive und die hohe Anzahl der Bilder vorgibt. Und natürlich auch darin, dass sich die Menschen und Tiere unbeobachtet wähnen, dass sie nicht wie so oft für ein Selfie oder Gruppenphoto posieren, sondern völlig in ihrer Tätigkeit aufzugehen scheinen, auch wenn das sehr oft nur eine Form des Wartens oder des Übergangs ist. Wie unter dem Mikroskop entwickelten sich Formen und Konstellationen menschlichen (Zusammen)Seins, die man in seinen Photographien studieren kann. Doch wie aus dem entstandenen Material eine Auswahl treffen? Auch das ist ein wesentlicher Teil der künstlerischen Strategie. Für sein 2018 erschienenes Buch hatte der Künstler aus 500 Motiven 110 ausgewählt. Aus dieser Vorauswahl stammen die sechs Motive für die Edition, welche zwei verschiedenen Auswahlkriterien folgen: Zum einen entwickeln sie das klassische Thema der vier Jahreszeiten, aus denen für die griffelkunst allerdings sechs Blätter wurden. Die Serie beginnt im tiefsten Winter und durchläuft dann den Zyklus eines Jahres. Ein zweites Motiv, das die Aufnahmen verbindet, ist weniger offensichtlich. Es gibt unterschiedliche Paarkonstellationen zu entdecken, manche erst auf den zweiten Blick – aber genau darauf sollte man sich beim Betrachten dieser Serie einlassen.