Griffelkunst-Vereinigung Hamburg e.V.

<p>Jenny Holzer Edition entsteht ©griffelkunst</p>
<p>Jenny Holzer Edition entsteht ©griffelkunst</p>
<p>Jenny Holzer Edition entsteht ©griffelkunst</p>

Jenny Holzer Edition entsteht ©griffelkunst

<p>Aufbau der Ausstellung von Kai Schiemenz im Kunstraum Seilerstraße, Frühjahr 2012 ©griffelkunst</p>
<p>Aufbau der Ausstellung von Kai Schiemenz im Kunstraum Seilerstraße, Frühjahr 2012 ©griffelkunst</p>
<p>Aufbau der Ausstellung von Kai Schiemenz im Kunstraum Seilerstraße, Frühjahr 2012 ©griffelkunst</p>

Aufbau der Ausstellung von Kai Schiemenz im Kunstraum Seilerstraße, Frühjahr 2012 ©griffelkunst

<p>Yvette Kießling bei der Arbeit an der Griffelkunst-Edition ©griffelkunst</p>
<p>Yvette Kießling bei der Arbeit an der Griffelkunst-Edition ©griffelkunst</p>
<p>Yvette Kießling bei der Arbeit an der Griffelkunst-Edition ©griffelkunst</p>

Yvette Kießling bei der Arbeit an der Griffelkunst-Edition ©griffelkunst

<p>Im Atelier von Anja Tchepets ©griffelkunst</p>
<p>Im Atelier von Anja Tchepets ©griffelkunst</p>
<p>Im Atelier von Anja Tchepets ©griffelkunst</p>

Im Atelier von Anja Tchepets ©griffelkunst

<p>Aufbau der Ausstellung “Thomas Kilpper – 150 Years of Printmaking”, 2014 ©griffelkunst</p>
<p>Aufbau der Ausstellung “Thomas Kilpper – 150 Years of Printmaking”, 2014 ©griffelkunst</p>
<p>Aufbau der Ausstellung “Thomas Kilpper – 150 Years of Printmaking”, 2014 ©griffelkunst</p>

Aufbau der Ausstellung “Thomas Kilpper – 150 Years of Printmaking”, 2014 ©griffelkunst

Birgit Brandis

368 A1
368 A2
368 A3
368 A4
368 A5
368 A6

A-Reihe / 368. Wahl
IV. Quartal 2017

Lithographie
49,0 × 37,0 cm

1. Sukkulentenspiele I
2. Sukkulentenspiele II
3. Riff07
4. 123 Punkte
5. Trigger
6. roter Faden

Papierqualität: 250 g/qm Zerkall Bütten
Drucker: Saal-Presse, Bergsdorf

Zeichnerische Handlungsanweisungen

von Dirk Dobke

2010 haben wir die Hamburger Malerin Birgit Brandis mit experimentellen Hochdrucken vorgestellt. Was damals auf den ersten Blick wie klassischer Holzschnitt anmutete, war von ihr in industrielle Isoliermatten geschnitten und gedruckt worden. Seit 2013 gibt sie ihre druckgraphischen Kenntnisse als Leiterin der Druckwerkstatt der Hochschule für bildende Künste in Hamburg an Studierende weiter. Bis heute steht ihr druckgraphisches Arbeiten gleichberechtigt neben ihrem malerischen Werk. Beide basieren auf einem Dreiklang von Material, experimenteller technischer Umsetzung und einer Bild-Idee. Für die Herbstwahl hat die Künstlerin zwei ihrer Zeichenkonzepte für uns druckgraphisch in Lithographien übersetzt. Beide Arbeitsweisen zeichnen sich durch eine strikt definierte Fortführung einer zeichnerischen Grundstruktur aus, Additionen einer gezeichneten Form, die schließlich zu einer Bildkomposition führen. Dazu formuliert die Künstlerin eine selbst gestellte klare Handlungsanweisung. Was beispielsweise als sternartiges Einzelelement beginnt, vervielfältigt sich und wird zu einer ballartigen Struktur. In einem anderen Blatt hat die Künstlerin Tintenpunkte so lange mit der Feder ausgezogen, wie diese Farbe abgab. In der Blattmitte beginnend ergibt das dichte Nebeneinander der auslaufenden Formen eine strahlende Supernova. Schleichen sich »Fehler« ein, werden diese durch die strikte Fortführung weiter verstärkt. Auch wenn der Ansatz streng klingt, fast formalistisch, kreiert Birgit Brandis damit überaus sinnliche Bildwelten. Und gerade die Brüche, möchte man meinen, machen das strenge Konzept lebendig.

Drei Motive basieren auf »Wachskratzereien«. So bezeichnet die Künstlerin lapidar das Übereinanderlegen von Ölkreideschichten, die dann mittels eines Stichels partiell freigelegt werden, ein Verfahren, das wir aus unserer Kindheit kennen. Ähnlich wie bei den sich prozesshaft aufbauenden Tuschezeichnungen schafft sie hier eine lineare oder flächige Schabe-Struktur, die sie modulartig weiterentwickelt. Gekonnt hat die Künstlerin die Schichtungen, die in der Lithographie nicht wie auf dem Papier mit Ölkreide einfach übereinandergelegt werden können, jeweils auf mehrere Lithosteine übertragen. Erst aus dem Übereinanderdrucken der bearbeiteten Steine ergibt sich der gewünschte Effekt. Während es sich bei ihren Tuschezeichnungen also um eine additive Technik handelt, arbeitet sie bei den Schabebildern subtraktiv. Hier wird die zuvor flächig aufgetragene Farbe gezielt wieder abgetragen, wodurch eine geometrische, mitunter räumlich erscheinende Bildkomposition entsteht. Mit diesen zunächst recht technisch erscheinenden Bildkonstruktionen generiert die Künstlerin überaus lebendige und mitunter fast gegenständlich aufscheinende Bildwelten.

E 474

E 474 ohne Titel, 2010

Hochdruck von Holz- und Styrodur-Platten Diptychon, montiert und gefalzt 120,0 x 100,0 cm
Papier: 200g/qm Lake Paper extra matt, hochweiß
Drucker: Saal-Presse, Bergsdorf bei Berlin

Mit einem Diptychon von Birgit Brandis ergänzen wir die Reihe von fünf Hochdrucken, die wir Ihnen im Herbst 2010 vorgestellt haben. Die in Hamburg lebende Künstlerin hat im letzten Jahr den Sechsten Graphikpreis der Griffelkunst-Mitglieder erhalten und war mit großformatigen Unikat-Drucken in unserer Ausstellung im Kunsthaus sowie im Kabinett der griffelkunst zu sehen.
Das zweiteilige Werk wurde – wie die fünf bereits angebotenen Drucke – ebenfalls von Holz- und Styrodur-Platten im Hochdruck hergestellt. Der Druck ist jeweils zweifarbig angelegt und zeigt sich spiegelnde, lineare Strukturen, die organische, fließende Formen assoziieren lassen. Der obere Teil des Diptychons wurde von einer Form gedruckt, die in zwei Farbgängen – schwarz und grün – leicht verschoben wurde. Die Struktur gerät so in Bewegung und verleiht dem Blatt eine flirrende, dynamische Oberfläche.
Im unteren Teil der Arbeit wurde das Blatt zunächst schwarz grundiert und anschließend blau lasiert. Brandis wiederholt das Motiv, indem sie den Druckstock kontert und schließlich den Fond in grün überdruckt. So erscheint das Motiv in dem zweigeteilten Blatt horizontal gespiegelt im positiv-negativ Verfahren. Das gegenstandslose Bild wird dabei bestimmt durch diagonal verlaufende, lineare Formen. Beide Blätter sind horizontal montiert und schließlich gefalzt.

Das Diptychon bildet eine wunderbare Ergänzung zu der vorangegangenen Serie und zeigt noch einmal in beeindruckender Art und Weise, wie Malerei und Druckgraphik in den Arbeiten von Birgit Brandis ineinandergreifen. Ihre Arbeitsweise wird jeweils bestimmt durch ein gezieltes, prozesshaftes Experimentieren, ein Spiel zwischen klar gegliederten Strukturen und frei ablaufenden Prozessen. Dabei setzt sie ihre Bildideen in vielen Schichten und Arbeitsschritten um und lässt sich schließlich selbst von der speziellen Oberflächenstruktur überraschen.
Brigitte Bedei

Wege der Malerei. Zum Werk von Birgit Brandis

von Gustav Kluge

Die Malerei von Birgit Brandis lässt sich am besten verstehen, wenn wir Malen – auch – als prozessualen Gießvorgang auffassen und die Farbe als Energie, die über ihre wechselhafte Verkörperung in einem individuellen Pigment hinausweist.
Dass Farbe nicht mit der Hand und einem Malinstrument aufgetragen wird, sondern direkt auf einen Bildträger aufgegossen werden kann,  ist eine relativ neue Errungenschaft der Malerei. Die Eigenart dieses Malens hilft der Malerin, dass von ihren Bildern eine Glut ausgeht, die in den Raum strahlt. Eine Kritikerin fühlte sich bei diesen Bildern an eine »magma-artige Ursuppe« erinnert. So scheint es mir nur folgerichtig, wenn Brandis in Räumen ihrer Ausstellungen die Farbe aus Eimern auf den Boden gießt und sie dort ineinanderfließend erstarren lässt. Sie bilden in den weißen Ausstellungskuben beunruhigende Inseln des Formlosen, deren verschlungene Strukturen mit den Bildern an der Wand eine Beziehung aufnehmen.

In den »Bodenverschüttungen« wird der Raum selber zum Bildträger und die erregende Kraft der Farbe wird ohne vermittelndes Malinstrument und ohne »Zwischenträger« direkt erfahrbar. Bei dieser kraftvollen Auffassung der Farbe ist es bedeutsam, dass Brandis diese Farbenergie einer strengen Formung unterwirft: Bildteilungen, geometrische Formen und Rasterschemata opponieren den leuchtenden Farben und 
bieten ihr Widerstand, der aber die Strahlkraft der Farbe umso stärker aufleuchten lässt. Soweit ließe sich die Malerei der Birgit Brandis als ungegenständliche, auch als selbstreferentielle Kunst bezeichnen.

Doch ich beobachte eine andere Ebene ihrer Arbeit, in der sich mir als Betrachter Erinnerungsbilder einstellen an alltägliche Wahrnehmungen. Ich fühle mich erinnert an Gebilde städtischer Landschaft, an Ausschnitte von Gebäuden, Nahblicke auf geformte Natur und Ausschnitte aus den im Fluss befindlichen Wahrnehmungen, wie sie das Auge der Malerin abgekoppelt von schneller Zuordnung und eindeutiger Festlegung wahrnimmt und in ihr Bildprogramm überführt. Vielleicht ist es diese nie ganz zu Ende entschiedene Balance von Bedeuten und Nicht-Bedeuten in den einzelne Arbeiten, die zur Spannkraft ihrer Bilder beiträgt.

In ihre Ausstellungen der letzten Jahre hat sie zunehmend Bilder in Hochdrucktechnik eingebaut. Mit geschnittenen Schablonen aus Styrodur und Spanholz druckt sie geometrische Formen von auffallender Sperrigkeit über Farbgründe auf Papier. Die Farben sind hierbei verhaltener und setzen sich gegen die geschnittenen Strukturen anders durch als in der Farbglut des Malflusses: durch den genauen Wechsel von pastosen und trockeneren Partien atmet der oft dunkel gefasste Papiergrund. Der Bildträger bekommt in den Drucken eine Wichtigkeit und dies setzt die Drucke in Spannung zu den Malereien, in denen der Bildträger von der Farbe »geflutet« wird. Dieses Kontrastprogramm von Malen und Drucken verleiht dem Werk von Birgit Brandis Weite und die Kraft zur anhaltenden Entwicklung.

Birgit Brandis – Kleinode

von Franziska von Keitz

Abstrakte Landschaften, sperrige, folgende Formen, fragile Schichten im vermeintlich leeren Raum voller Kleinode, intensive Farben in gegenseitiger Opposition. Wer das Schaffen von Birgit Brandis betrachtet, fühlt sich in urbane Räume versetzt, ist eingenommen von futuristisch anmutender Romantik, Mondlandschaften voller Seifenblasen oder steht vor Transzendenzen geometrischer Strukturen. Ebenso sichtbar sind aktuelle Themen der Malerei wie die Einbeziehung von Architekturzeichnungen etwa, das Spiel mit geometrischen Formen und ihr In-Kontrast-setzen mit dem freien Fluss der Farbe. Der Eindringlichkeit dieser Arbeiten vermag man sich kaum zu entziehen. Mit oxymoralem Charme umgarnen ihre Arbeiten den Betrachter und ziehen ihn in eine eigene Welt voll tiefer Komplexität.
Birgit Brandis ist eine Forschernatur voller Energie und Entdeckergeist. Beides kanalisiert und integriert sie in Form einer häufig in der Wissenschaft eingesetzten Methode in ihren Arbeitsprozess: die der Beobachtung. Ausgehend von einer großen Bandbreite an Themen untersucht sie die Struktur von Natur und Raum, aber auch immer wieder optische Phänomene und Muster. Sie nimmt ihren Lebensraum sehr bewusst wahr, hinterfragt Strukturen unseres Alltags, betrachtet die Lebendigkeit der urbanen Natur, beispielsweise, wenn sie aus ihrem Fenster im 12. Stockwerk Vogelschwärme füttert. Immer wieder stößt man auf Aspekte von Metamorphosen und Vergänglichkeiten, aber auch der städtischen Rückeroberung durch die Natur. Die Kamera wird zum Dokumentar dieser Entdeckungen und die Fotografien zur Quelle für die Entwicklung von Bildideen, auch wenn sie in der fertigen Arbeit oft nur fragmentarisch sichtbar bleiben – als Dekonstruktion von Alltäglichem, wieder zusammengefügt zu etwas Neuem. Bei der Zusammensetzung ist ihr das große Ganze genauso wichtig wie die Stimmigkeit jedes einzelnen Ausschnitts. Im Vordergrund steht eine kontrastreiche Spannung. Dieser müssen sich in der Malerei spezifische Formen unterordnen. In ihren Drucken geht Birgit Brandis dagegen oft von einer zentralen Form aus und entwickelt um sie herum ihre Komposition. Dieser dekonstruktivistische Gedanke, der gleichermaßen Sinndestruktion und Sinnkonstruktion umfasst, bestimmt ihre dementsprechend präzise Arbeitsweise.
Der Arbeitsprozess von Birgit Brandis beginnt zunächst mit einer Eingrenzung des Raumes, in dem sie ihre Bildidee mit einem sehr durchdachten, gleichzeitig experimentellen und nahezu bildhauerischen Vorgehen rekuriert. Innerhalb dieses begrenzten Raums überträgt sie ihre Beobachtungen schichtweise in ein gezieltes Experiment mit offenem Ausgang, in dem sie ihr Material bewegt, dirigiert und modelliert. Die Grundlage für die Malerei sind meist zwei Hartfaserplatten, die dunkel grundiert werden. Zunächst auf dem Boden, später auf der Wand, häufig in Bewegung kratzt, schabt, klebt, dosiert, verdickt, verdünnt – „behandelt“ Birgit Brandis das Material, erforscht seine Eigenart, Eigenleben und Körperlichkeit aber auch immer wieder. Sie setzt mit chirurgischer Präzision und feinstem Werkzeug Schnitte, füllt diese wieder mit Farbe, klebt Partien ab, trägt schichtweise Acrylfarbe auf, entfernt Teile davon wieder und greift immer wieder lenkend in den Trocknungsprozess ein und lässt sich von Materialeffekten überraschen. Die dabei verwendete Farbwelt ist stark von ihren Beobachtungen über die Metamorphosen der urbanen Natur geprägt: brechendes Licht, rostendes Metall, erodierender Lack, moosartiger Bewuchs auf alten Gemäuern. Für den Betrachter entsteht so eine schillernde, irisierende, kontrastierte Welt.
Birgit Brandis arbeitet außerdem mit einem von ihr entwickelten Hochdruckverfahren, das sie sowohl in ihrer Malerei als auch in ihren Grafiken einsetzt. Dabei werden Druckstöcke aus Styrodur – der etwas festere und normalerweise im Hausbau eingesetzte Bruder des Styropor - zurechtgeschnitten und dann ähnlich wie die Hartfaserplatten filigran bearbeitet. Vor dem Aufdrücken auf Papier oder Hartfaserplatte wird Acrylfarbe auf die Druckstöcke mit Walze oder Pinsel aufgetragen. Diese Technik erlaubt ihr, Malerei und Druck miteinander zu verweben, beides auf- und ineinander zu übertragen. 2010 wurde sie dafür mit dem Graphikpreis der Griffelkunst-Mitglieder ausgezeichnet.
Dieser kurze Blick hinter die Fassade der Arbeiten von Birgit Brandis soll ihre Anregung unterstreichen. Denn jede Faser einer Arbeit von Birgit Brandis soll als Einladung an den Betrachter verstanden werden, selbst zum Forscher zu werden, die eigenen Assoziationen zu ergründen und sich bereichern lassen von einer Reise zu diesen Kleinoden. Und so steht Kleinod - das Schmuckstück - in dieser Ausstellung für die kleinen Kostbarkeiten, die häufig zufällig gefunden werden, manchmal einer anderen Zeit entrückt sind, und in denen bei näherer Betrachtung ganze Welten stecken können; Welten, die nur in unseren eigenen Gedankenverknüpfungen entstehen.

B-Reihe, 340. Wahl, IV. Quartal 2010

Hochdrucke von Holz- und Styrodur-Platten

1. ohne Titel 101 x 70 cm / 99 x 70 cm
2. ohne Titel 101 x 70 cm / 96 x 68 cm
3. ohne Titel 90 x 70 cm / 70 x 52,5 cm
4. ohne Titel 70 x 84 cm / 67 x 80 cm
5. ohne Titel 70 x 101 cm / 64 x 94 cm

Papier: 200 g/qm Lake-Paper extra matt, hochweiß
Drucker: Saal-Presse, Bergsdorf bei Berlin

Birgit Brandis ist eine unserer Preisträgerinnen, die bereits im September, zusammen mit Volker Hueller und Anja Tchepets, den Sechsten Graphikpreis der Griffekunst-Mitglieder erhalten hat. Es freut uns daher sehr, dass wir Ihnen bereits in der aktuellen Herbstwahl eine Edition mit fünf Hochdrucken der in Hamburg lebenden Künstlerin vorstellen können.

Blättert man in dem „Skizzenbuch“ von Birgit Brandis, stößt man auf Photographien, die zeigen, was zum Alltäglichsten gehört: Reifenspuren im Schnee, einen Haufen zersplittertes Glas, ein Ölfleck im Hof, einfache Strukturen an Häuserwänden, auf der Straße, im Wasser. Immer wieder begibt sie sich auf Phototouren, stellt die Bilder visueller Fundstücke des urbanen Lebens in eigens montierten Büchern assoziativ gegenüber. Das Beobachten alltäglicher Spuren fließt in ihre künstlerische Auseinandersetzung ein. Dabei bildet sie nicht ab, vielmehr sind ihre Bilder Abstraktionen und bildhafte Assoziationen von Alltagsbeobachtungen, die wie entfernte Erinnerungen in den Bildern aufscheinen.
Vor allem inszeniert sie in ihrer Arbeit Fragestellungen, die um die Materie der Malerei selbst kreisen. Sie begreift Farbe als Material, als Energiepotenzial, dessen freier Fluss von der Malerin durch formale Regieanweisungen eingegrenzt und gelenkt wird. Die Übergänge von Druckgraphik und Malerei sind in ihrem Werk fließend und greifen ineinander. Wenn Birgit Brandis von der Entstehung ihrer meist großformatigen Bilder spricht, lassen sich Parallelen im Bildaufbau entdecken, wird die Druckgraphik zur Malerei mit anderen Mitteln. Ihre Arbeitsweise ist dabei in beiden Medien ein gezieltes, prozesshaftes Experimentieren, ein Spiel zwischen klar gegliederten Strukturen und frei ablaufenden Prozessen. Es sind Versuchsanordnungen innerhalb eines vorgegebenen Rahmens, einer klaren Bildidee, die im Arbeitsprozess langsam in vielen Schichten und Arbeitsschritten umgesetzt wird.
Wie ihre Bilder entstehen auch die Drucke an der Wand. Die Motive werden meist aus vielen Druckstöcken zusammengesetzt und häufig in mehreren Schichten überdruckt, sodass sich die offenen, durchbrochenen Farbschichten miteinander mischen. Dabei werden die Druckstöcke teilweise während des Druckvorgangs noch weiter bearbeitet. Ihre Motive schneidet sie in Styrodur-Platten, einem styropor-ähnlichen Werkstoff mit poröser Oberfläche und eigener Linienführung im Material. Aus diesem ergibt sich die spezielle Oberflächenstruktur der Drucke, die als Unikate allesamt von Hand gedruckt werden. Der Farbgrund wird dabei oft dunkel gefasst, wobei zuweilen auch Teile des weißen Papiers als harte Kontraste stehen bleiben. Die Farben werden direkt auf dem Druckstock gemischt, wodurch gebrochene Farbverläufe entstehen, und je nach Farbauftrag mit Pinsel oder Walze ergeben sich im Druck unterschiedliche Oberflächen. So ist das Ergebnis immer ein Zusammenspiel aus der Handschrift der Künstlerin und der Beschaffenheit des Materials.

In ihren Hochdrucken geht es Birgit Brandis nicht um Auflagen. Vielmehr nutzt sie das von ihr entwickelte Druckverfahren für Unikate. Um auf Einladung der griffelkunst eine Serie von Hochdrucken zu realisieren, hat sich die Künstlerin auf einen Auflagendruck eingelassen. Mit in ihrem Hamburger Atelier entstandenen Druckstöcken reiste sie im Juni 2010 zur Saal-Presse ins brandenburgische Bergsdorf. Zwar hat Brandis ihre Druckstöcke und Bildideen im Gepäck, dennoch entwickelt sie ihre Bilder erst vor Ort, entscheidet während des Druckvorgangs über Farbgebung und Bildaufbau. Wie in ihrer Malerei grundiert sie ihre Blätter, indem ein schwarzer Fond von einer einfachen Holzplatte mehrfach übereinander gedruckt wird.
Auf den schwarzen Grund werden die in Holz und Styrodur geschnittenen Motive gedruckt: Blasen, lineare Strukturen, Formationen, die Mikro- und Makrokosmos assoziieren lassen. Dabei muss Birgit Brandis umdenken, denn ihre Bildfindungen müssen einer hohen Auflage standhalten. Dennoch entscheidet sie in Absprache mit den beiden Druckern, zumindest die Weißform von Hand zu drucken, um die spezifische Oberflächenstruktur zu erhalten, die durch den Maschinendruck egalisiert würde.

In dem Werk von Birgit Brandis stehen Druckgraphik und Malerei gleichberechtigt nebeneinander. Ihr Vorgehen bewegt sich dabei zwischen Ordnung und Chaos, Kontrolle und Zufall. Es ist in erster Linie das Prozesshafte, das ihre Arbeitsweise bestimmt und der Künstlerin immer wieder neue Möglichkeiten eröffnet, Farbe, Oberflächenstruktur und Bildraum zu erforschen.

340 B1
340 B2
340 B3
340 B4
340 B5
E 474

Birgit Brandis

1976 geboren in Heidelberg
1992–2002 Studium der freien Kunst an der Kunstakademie Karlsruhe
2002–2003 Meisterschülerin bei Prof. Gustav Kluge
2010 Preisträgerin 6. Graphikpreis der Griffelkunst-Vereinigung Hamburg e.V.
seit 2013 Werkstattleiterin Abteilung Drucktechniken, an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg

Ausstellungen
2017 Künstlerbücher für Alles, Weserburg Museum für moderne Kunst, Bremen (K)
Westsüd, Galerie Knecht und Burster, Karlsruhe (K)
2015 Es war das Blau, Kunstverein Ulm (E, K)
2014 Oel-Früh Cabinet Hamburg (E)
2012 Strata, Galerie Levy, Hamburg (E)

Publikationen
Wachskratzbuch, Hamburg 2015
Es war das Blau, Kerber Verlag, 2016

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