E 431 Seil für einen Seiltänzer, 2007
Kunststoff, Metall, Zwirn
18,0 x 42,5 x 15,0 cm
Hersteller: Studio G, Hellwege
Die Arbeit „Seil für einen Seiltänzer“ zeigt ein Modell von einem Seil, das zwischen zwei Masten locker in einem glücklichen Ruhezustand hängt. Der Titel ruft einen Seiltänzer hervor, welcher sich nicht vergegenständlicht hat.
Die Multiplizierbarkeit der Gegenstände ist für mich verbunden mit der Hervorhebung der Vorstellung. Es ist wie in der Meditation, bei der sich in der Wiederholung die abstrakte Qualität potenziert. Und die Abstraktion hat ihre eigenen Gesetze, eine Wirklichkeit herzustellen, zu konstruieren. In jeder Wiederholung zeigt sich etwas Neues, das völlig privat ist. Das Gemeinsame und das Private sind im Multiple das Gleiche. Jeder wird seinen eigenen Seiltänzer haben.
Henk Visch
Als Modell von einem Seil hat Henk Visch seine Arbeit in seinem Katalogbeitrag zum Fünften Graphikpreis der Griffelkunst-Mitglieder beschrieben, in dessen Rahmen es entstanden ist. Und tatsächlich ist es so angelegt, dass es – wie auch das Objekt Underground Cinema von Stephen Craig – in einem größeren Maßstab realisiert werden kann. So wurde etwa in Den Haag eine Außenraumskulptur realisiert, die mit diesem Motiv arbeitet. Dort wurde ein 150 Meter langes Seil in einer Höhe von zwölf Metern befestigt, auf dem sich ein solarbetriebener Seiltänzer aus Metall bewegt.
In der Edition für die griffelkunst bleibt der Seiltänzer ausgespart, beziehungsweise der Phantasie des Betrachters überlassen. Das Objekt wirkt dadurch selbst, als befände es sich in einem heiteren Schwebezustand. Durch seine Einfachheit strahlt es eine gewisse Leichtigkeit aus, doch alles an dem Modell ist bis ins letzte Detail durchkonzipiert. So werden die Stäbe, an denen das Seil befestigt ist, bewusst so behandelt, dass sie ein wenig Patina annehmen. Die Bohrungen für das Seil sind mit Werkzeugen aus der Feinmechanik durchgeführt worden und der Faden ist so bemessen, dass er eben diese bestimmte Kurve beschreibt, die an einen „glücklichen Ruhezustand“ denken lässt. Auch der Boden besteht aus einem besonderen Kunststoff, der das Licht auf eigentümliche Weise bricht und das Objekt schwerelos erscheinen lässt.
Henk Visch haben wir Ihnen bereits in der Frühjahrswahl 2005 mit einer Edition von Lithographien vorgestellt, die sich um das Motiv Freundschaft ranken. Die Darstellung des Menschen ist charakteristisch für seine Arbeit, doch haftet auch den von ihm entwickelten Figuren etwas Modellhaftes an. So werden Körperteile nur angedeutet oder fehlen ganz, die Gesichter sind reduziert auf das Wesentliche. Seine Charaktere spielen mit der Vorstellung, die man sich von der menschlichen Figur macht, wie Vasily Wells im Text zur Griffelkunst-Edition schreibt: „In der Vorstellung von der ‚menschlichen Figur’ geht es darum, die Realität aus dem Blickwinkel der Vorstellung heraus zu erkennen, die man sich davon macht.“ Gerade dadurch, dass die Arbeit Seil für einen Seiltänzer die menschliche Figur ausspart, öffnet sie dem Betrachter einen Zugang zu seiner Vorstellungswelt und dem Bild, das er sich selbst von einem Seiltänzer macht.
C-REIHE, 318. Wahl, II. Quartal 2005
„Freund“, 2005
Farblithographien
1. zusammen 53,5 x 39,5 cm / 32,5 x 22,5 cm
2. unsichtbar 53,5 x 39,5 cm / 31,0 x 24, cm
3. reisend 53,5 x 39,5 cm / 33,5 x 27,0 cm
4. wartend 53,5 x 39,5 cm / 28,3 x 24,5 cm
5. niemand 53,5 x 39,5 cm / 24,5 x 22,0 cm
6. vorwärts 53,5 x 39,5 cm / 28,0 x 24,0 cm
Papierqualität: Hahnemühle 300 g/qm
Drucker: Tabor-Presse, Berlin
Der Freund Die menschliche Figur ist ein klassisches Thema in der europäischen Kunst. Der Körper ist unverkennbar ein wunderliches und reizvolles Phänomen, das sich seiner Idealisierung nicht leicht entzieht. Mehr noch ist die „menschliche Figur“ zur Vorstellung dessen geworden, wie sich der Mensch als ,corpus abstractum’, als Idee, einem Ort und einer Funktion in der Welt zuschreibt. Aufeinander folgende Strömungen in der Kunstgeschichte haben eine lange Reihe narrativer Konstruktionen geschaffen, die verdeutlichen, womit der Mensch sich verbindet, wovon er sich löst, welche Erfahrungen er beschreiben kann und welchen er Form verleihen will. Die Vorstellungen von „der menschlichen Figur“ prägen die Identität des Menschen und sind in gewissem Sinne sein Alibi für diese Auffassung des Seins. Die menschliche Figur in der Arbeit von Henk Visch ist manchmal das Modell eines Handelnden, manchmal Stellvertreter einer Gruppe, die sich noch nicht zu erkennen gegeben hat. Aber wir können seine Figuren auch als Abbild des Bewusstseins selbst sehen, das sich unvorstellbare Dinge dennoch vorzustellen vermag. Es gibt Geschichten und Erzählungen, in denen sich viele semantische Welten öffnen. Eine von der Vorstellung unterstützte Terminologie kann einen mächtigen Prozess von Namengebung, Definition und Identifikation auslösen.
In der Vorstellung von der „menschlichen Figur“ geht es darum, die Realität aus dem Blickwinkel der Vorstellung heraus zu erkennen, die man sich davon gemacht hat. Dieser Umweg stellt indirekt eine Möglichkeit dar, das Konzept des Individuums, eingebettet in gesetzmäßige und theologische Traditionen, in Beziehung zu den Erfahrungen des Lebens selbst zu setzen – und umgekehrt.
Wir sehen eine Figur, die halb im Mantel dasteht: zieht sie den Mantel an oder zieht sie ihn aus? Wir wissen es nicht. Das Eine ist ebenso möglich wie das Andere. Der Mantel lässt ihren Umriss erkennen und verleiht ihr Farbe. Er verbindet auf diese Weise die Figur mit der Wahrnehmung, dass sie sich draußen befindet. Die sie umringende Welt sehen wir nicht, aber diese Isolation macht die Figur umso deutlicher sichtbar: Die Zeichen der sie umgebenden Wirklichkeit sind wie ein um sie gewobener Mantel und sie hüllen sie ein. Die Welt ist ein halbes Kleid, das sie mit einem Bein in die Welt stellt, mit ihr verbindet, ohne sich in ihr aufzulösen.
Vasily Wells, Rom
Henk Visch
1950 geboren in Eindhoven, Niederlande