B-Reihe / 390. Wahl
II. Quartal 2023
Album
Lithographie
40,0 × 30,0 cm / 38,0 × 28,0 cm
B1 Holu
B2 Abtalebi
B3 Mobl
B4 Kif
B5 Miz
B6 Toop
Papierqualität: 270 g/qm Rives Bütten
Druck: Steindruckerei Wolfensberger, Zürich
Hersteller Mappe: Reset St. Pauli Druckerei, Hamburg
Die Verlangsamung der Bilder
von Brigitte Bedei
»Das nächste Mal reise ich in einen anderen Iran«, sagt Shirana Shahbazi in einem Statement im ZEIT Magazin im Dezember 2022. Sie ist zutiefst bewegt von den Geschehnissen im Iran und hofft inständig auf eine neue Ordnung, die das Land öffnen und auf Gleichberechtigung aufbauen wird. Sie wünscht sich, dass auch der Westen von dieser feministischen Bewegung und ihrem wahrhaft intersektionalen Charakter lernen wird. 1974 wurde Shahbazi im Iran geboren, elf Jahre später ging sie mit ihren Eltern nach Deutschland. Sie studierte zunächst Photographie in Dortmund und in den 1990er Jahren an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich, wo sie bis heute lebt und arbeitet. Mindestens einmal im Jahr reist die Künstlerin in ihr Heimatland. Dort sind auch die Aufnahmen für ihre Edition entstanden.
Shirana Shahbazis Bilder erschließt man sich am besten visuell. Sowohl ihre Photographien, als auch die Inszenierungen ihrer Ausstellungen und Kataloge sind formal und inhaltlich vielschichtig und mehrdeutig. Auf ihren Bildern sehen wir zunächst vertraute Dinge wie Früchte und Pflanzen, Landschaften, Stillleben, Architektur- und Interieuransichten, manchmal Menschen. Aber auch geometrisch- abstrakte Motive fügen sich zu komplexen Collagen und Serien, sodass ein heterogener Kosmos entsteht. »Wenn zwei Bilder aufeinandertreffen entsteht ein Drittes. Eine andere Art des Sehens«, sagt Jean-Luc Godard, wenn er über filmische Montage spricht. Das gilt vergleichbar für Shahbazis Arbeitsweise, wenn sie Bilder miteinander verknüpft und ineinandergreifen lässt. In technischer Hinsicht arbeitet die Künstlerin mit unterschiedlichen Abzugsverfahren und medialen Transfers, die die Lesbarkeit der Bilder stören oder zu ungewöhnlichen Bildräumen führen. So lässt sie geknüpfte Teppiche oder Gemälde nach eigenen Photos ausführen, arbeitet mit Mehrfachbelichtungen und Farbverläufen, C-Prints in satten Farben und Schwarzweiß-Abzügen. Shahbazi schafft mit ihren Arbeiten immer eigene, neue visuelle Räume, in denen es nicht wichtig ist, was wir sehen, sondern wie wir sehen.
Arrangement, Abstraktion und Irritation des Blicks stehen bei Shirana Shahbazi im Fokus. Das gilt auch für die 6-teilige Serie Album, die sie für die griffelkunst entwickelt hat. Mit ihr nimmt Shirana Shahbazi uns mit auf eine Reise. Und das gilt sowohl für ihre Motive, als auch für die Technik, in der die Künstlerin ihre Edition umgesetzt hat. Ausgangsmaterial ist das photographische Bild. Die Aufnahmen, während einer Reise in den Iran entstanden, sind eher spontan eingefangen, als konzeptionell angelegt und könnten auch aus dem Feed eines Instagram-Accounts stammen: ein Stillleben im Restaurant, ein flüchtiger Moment mit einem Getränk im Plastikbecher, der Blick in die Landschaft oder auf Früchte im Baum, Spiele von Farben und Formen. Die digitalen Handyaufnahmen lässt Shahbazi noch vor Ort printen. Zurück in Zürich nutzt sie das Material, um neue Photographien von den Bildern zu erstellen, indem sie diese vor einer reflektierenden, mit Ornamenten versehenen Folie inszeniert und so eine neue Bildwirklichkeit zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort schafft. Es entsteht ein Bild im Bild. Die durchgängig auf den Motiven gezeigten Hände verweisen darauf, dass die Bilder angeschaut werden. So werden die Photographien zu neuen Bildern, die unterschiedlich verortet werden können. Die ursprünglichen Reiseerinnerungen aus dem Iran werden zu inszenierten Photographien. Die Bildsujets sind disparat und werden in der Serie zusammengeführt zu einem visuellen Kosmos, indem die Künstlerin dem ursprünglichen Photo mehrere Ebenen hinzufügt, um so ein vielschichtiges Vexierspiel mit Raum und Zeit im Bild zu entwickeln.
Gleichzeitig unternimmt Shahbazi eine Art Zeitreise und schreibt der Edition ein Stück Geschichte ein, indem sie die Bildproduktion zunehmend verlangsamt und zurückführt in die Lithographie, einer Drucktechnik, die bereits im 19. Jahrhundert entwickelt wurde. Die Palette reduziert sie dabei auf zwei Farben pro Motiv, wobei beim Drucken ein Iris-Farbverlauf integriert wird. Erzeugt wird so eine ganz eigene Sphäre im Bild, die nichts mehr mit dem ursprünglichen Photo zu tun hat. Shahbazi stört durch die unterschiedlichen Bildebenen die einfache Lesbarkeit der mehrfach reproduzierten Bilder, die dadurch eine Entschleunigung erfahren und sich einer räumlichen und zeitlichen Verortung entziehen. Die Künstlerin schafft somit einen neuen komplexen Raum, der verschiedene Wirklichkeiten zeitgleich zulässt.
Shirana Shahbazi
1974 geboren in Teheran, Iran, lebt und arbeitet in Schlieren, Schweiz