C-Reihe / 358. Wahl II. Quartal 2015
Lithographien
45,0 x 35,0 cm
Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle 1–7
1. Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle (1)
2. Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle (2)
3. Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle (3)
4. Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle (4)
5. Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle (5)
6. Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle (6)
7. Tiere als Tiere – Ausgesuchte Fälle (7)
Papierqualität: 210 g/qm Alt-Meißen Bütten
Druckerin: Ellen Sturm-Loeding, Hamburg
Portfolio No 3 von Ruth May ist noch lieferbar und kann zum Preis von € 10,– zuzüglich Versand über .(JavaScript must be enabled to view this email address) bestellt werden.
Tiere als Tiere
von Ruth May
Als die griffelkunst auf mich zukam und mir vorschlug, anstelle der schon länger geplanten Siebdruck-Edition Lithographien herzustellen, reagierte ich zunächst zurückhaltend. Üblich ist es, Künstler ohne Erfahrung im Steindruck entweder direkt auf den vorbereiteten Stein oder auf Umdruckpapier zeichnen zu lassen. Der »Rest« wird in der Regel von erfahrenen Druckern erledigt. Da meine künstlerische Arbeit unter anderem auch darin besteht, eine Technik in eine andere zu übertragen, erschien mir dieses Verfahren für mich unangemessen.
Daraufhin machte mir die griffelkunst das Angebot, die erste Stipendiatin ihres neu eingerichteten Druckgraphik-Stipendiums zu werden. Das heißt, einige Wochen in der Hamburger Werkstatt von Ellen Sturm-Loeding zu verbringen. Das heißt auch, Zeit zu haben, sich zurechtzufinden, zu lernen und zu arbeiten, ohne zwingend eine Edition erreichen zu müssen. Ellen weihte mich geduldig in die Vorgänge und Geheimnisse des Steindrucks ein und begleitete und beriet mich intensiv in meiner Arbeit.
Anfang Mai 2014 fing ich in der Werkstatt an und lernte eine Technik kennen, wie sie seit über 200 Jahren angewendet wird, und deren Weg zum Bild geprägt ist von einem zeitlich entschleunigten und sehr körperlichen Umgang mit dem Material, der sich über den gesamten Arbeitsprozess erstreckt. Das Gewicht der Steine, das stundenlange Schwingen der Steine aufeinander, die Geräusche des Schleifsands, der Muskelkater, der einen beim Zeichnen an den Aufwand der Vorarbeit erinnert, das Trockenwedeln mit der Fahne, und das Kurbeln der Handpresse; der Geruch des Gummis, die verblüffenden chemischen Vorgänge, denen mein Verstand erst nach dem Erlernen von automatisierten Bewegungsabläufen folgen wollte; wie die Zeichnung beim Auswaschen verschwindet, um dann später auf dem schweren Stein zu schweben, das Fett-gegen-Wasser-Geperle, die Unzähmbarkeit des Fetts der Lithotusche und der Zauber der ersten Andrucke.
Entstanden ist am Ende dann doch eine Serie zur Frühjahrswahl 2015. Ich habe mich für diese ersten Lithographien auf nur einen Stein pro Motiv und auf das Arbeiten mit Lithotusche konzentriert. Dafür musste ich den Rahmen für meine Arbeit konzeptionell immer wieder neu stecken, um den spezifischen Eigenschaften der Tusche Raum zu geben. So »durfte« das Material innerhalb des Motivs das tun, was es ohnehin tut: Lavierungen, bei denen mit sehr flüssiger Tusche schnell mit dem Pinsel in Wasser gearbeitet wird, damit feine wolkige Ablagerungen entstehen, klare Linien mit der Feder, oder schwarze Flächen. Ich habe versucht, die Zartheiten, Feinheiten und Schwärzen, die graphischen und malerischen Elemente in der Zeichnung so aufeinander abzustimmen und gegebenenfalls gegeneinander auszuspielen, dass das Motiv auch nach allen chemischen Präparierungen und Unwägbarkeiten der Vorgänge bis hin zum Druck noch funktioniert. Meine Motive gehen hervor aus Collagen, auf denen Umrisse von Tieren den Körpern anderer Tiere Gestalt geben. Diese hybriden Tiergestalten benutzte ich als Vorlage für eine Reihe von bunten Tuschezeichnungen, die mir wiederum als Vorlage für die Schwarzweiß-Lithographien dienten.
E 477 Elisabeth Farnese, 2011
Stoffdruck, übermalt
140,0 x 105,0 cm
Schachtel: 33,0 x 27,0 cm
Stofflichkeiten
von Brigitte Bedei
Neben Collagen, Bleistift- und Tuschezeichnungen spielt Stoff in den Arbeiten von Ruth May eine wesentliche Rolle. Ihre genähten Fahnen sind teilweise bis zu zwei Mal vier Meter groß. In ihnen verarbeitet sie unterschiedliche Stoffe, sodass Unebenheiten und Spannungen entstehen, die keine perfekte Hängung des Materials erlauben. Die Stoffe werden von Ruth May zum Teil auf vielschichtige Weise bearbeitet. Einzelne Teile werden appliziert, patchworkartig ineinandergenäht, eingestickt und aufgesetzt. Ihre Eingriffe bleiben dabei immer nachvollziehbar, so dass Material und Bild einander bedingen. Ausgangspunkt von Mays Bildwelten sind gefundene oder von ihr nachgezeichnete Szenarien, die sie historischen Bildbänden oder alltäglichen Magazinen entlehnt. Über Tusche- und Bleistiftzeichnungen tastet sie sich an ein Thema heran, sodass zu jeder Stoffarbeit immer auch eine Reihe von Zeichnungen exisitiert. Die gewählten Motive scheinen dabei mit dem Stoff verwoben zu sein – Form und Inhalt sind eng miteinander verschränkt.
Eine Auswahl ihrer Arbeiten ist im November im Kunstraum Seilerstraße zu sehen. Parallel erscheint Heft 3 unserer Portfolio-Reihe, in dem wir die Arbeit der in Hamburg lebenden Künstlerin anhand zahlreicher Abbildungen, einem Interview sowie einem Text von Katha Schulte umfassend vorstellen.
Als Edition für die griffelkunst hat Ruth May eine großformatige Stoffarbeit realisiert, deren Motiv sie fragmentarisch aus einem historischen Gemälde von 1734 zitiert. In dem Bild wird die Familie Philips V. in einer theatralischen Inszenierung von dem Hofmaler Louis-Michel van Loo porträtiert. Umringt von zahlreichen Personen sitzt Elisabeth Farnese im Zentrum des Bildes. Die aus dem Gemälde isolierte Gestalt der spanischen Königin ist das zentrale Motiv in der Arbeit von Ruth May. Sie entwickelt diese aus dem Material – aus fließenden, mit Ornamenten versehenen Stoffen lässt sie ein körperloses Gewand entstehen, das von gestikulierenden Händen und angedeuteten Perücken umgeben ist. Die menschliche Körperlichkeit wird dabei durch ihre Haltung, die Perspektive, den Faltenwurf und das Muster des getragenen Stoffes aufgelöst. Gleichzeitig sind die angedeutete Herrscherpose und das üppig dargestellte, mit Ornamenten versehene Gewand als Träger kultureller und historischer Codes zu lesen. Neben dem Titel verweisen sie auf die Identität der dargestellten Figur. Eine zusätzliche Ebene sowohl inhaltlicher als auch formaler Art schafft die Künstlerin, indem sie jeweils von Hand einen überdimensionalen, pinkfarbenen Fleck über die auf Stoff gedruckte Gestalt malt. Sie stilisiert das Gesicht der historischen Figur, die keine individuellen Züge trägt, sondern allein durch die Kleidung gestaltet wird. Nur der Stoff und die Haltung erzählen, welche Rolle der Figur im Bild zufällt.
von Katha Schulte
„alles mit allem“ lautet der Titel von Ruth Mays Ausstellung in der Seilerstraße.
Da kann man zunächst an einen Witz denken und an Menschen am All-inclusive-Büffet, die sich alles auf einmal auf die Teller laden. Kartoffeln mit Reis mit Nudeln. Auch in Ruth Mays Arbeiten ist nämlich eine Überfülle anzutreffen: an Farben, Arbeitstechniken, Materialien, Motiven sowie Elementen aus anderen Motiven. Eine Überfülle, die vor allem in ihren großen Stoffarbeiten augenfällig wird. Zu den Verarbeitungsweisen durch Applikation, Patchwork, Stickerei mit und ohne Pailletten und Bemalung kommt mit dem Einzelblatt für die Griffelkunst jetzt auch noch das Stoffdruckverfahren hinzu.
„alles mit allem“ ist aber auch eine Wendung aus der Theatersprache. Dort steht der Begriff für eine Form der Probe kurz vor der Premiere, bei der der gesamte Ablauf durchgegangen wird inklusive Kostümen, Licht, Musik, Requisite – mit allem. Der Ausstellungstitel berücksichtigt damit erstmals den Theateraspekt in der Arbeit der 1974 geborenen, in Genf aufgewachsenen Künstlerin. Ruth May gestaltete für einige Produktionen der Performancegruppen Hajusom und Showcase Beat Le Mot Kostüme und Plakate. Dabei ist das Bühnenhafte ihrem Schaffen nicht äußerlich. Die Figuren, die im Mittelpunkt von Zeichenblatt und genähter Stoffarbeit Gestalt annehmen, sind in Posen festgehalten und es umgeben sie Andeutungen von Bühnenraum.
Im Kunstraum in der Seilerstraße nimmt eine großformatige neue Stoffarbeit die ganze rechte Wand ein. Kreissegmente, Lichtkegel sowie waagerecht und senkrecht gespannte Stromkabel oder Marionetten-Fäden deuten darauf einen Raum an, der einer „unmöglichen Kreatur“ als Manege dient.
„alles mit allem“ könnte auch der Versuch einer Beschreibung dieses Wesens sein.
Verschiedene Ansichten eines Globus bilden den Körper, auf Pferdebeinen, die auf Stelzen hereintänzeln. Diesem Körper sitzt anstelle des Kopfes ein weiterer Körper obenauf, ein leerer Körper, nur durch seinen Umhang anwesend. Kein Kopf also, dafür Hände, die die Mantelschöße halten.
Für eine Inszenierung der Hamburger Performancegruppe Hajusom zum Thema Grenzen und Migration schuf Ruth May vor ein paar Jahren die Kostüme. Diese waren nicht Personen oder Charakteren zugeordnet, sondern den Funktionen, die die Sprechenden jeweils einnahmen. Insbesondere der „Erzählermantel“ konnte jeweils wechselnd von der handelnden Person eingenommen werden, die gerade die Rolle des Erzählens übernahm. Dieses Kleidungsstück bildet jetzt das Zentrum der großen Stoffarbeit „alles mit allem“.
Nicht um personale Einheit geht es also bei RMs Figuren, sondern um die Möglichkeiten, Materialien und Haltungen, die jemand einnehmen kann.
„Alles mit allem“ auch deshalb, weil RMs Schöpfungen aus dem Vollen geschöpft sind. „Ich brauche nichts zu erfinden“, sagt sie, es ist ja alles schon da. An die Stelle irgendeines Schöpfungsmythos, der noch durch die Kunstgeschichte geistert, tritt eine Philosophie des Do-it-yourself. Handwerk spielt hierbei im Sinne einer beständigen Rückkopplung zwischen Überlegen und Tun eine Rolle. Die entstehenden zusammengesetzten Gestalten wirken wie Idole eines noch unbekannten synkretistischen Bundes. Die Nahtstellen sollen offen liegen, der Prozess der Fertigung sichtbar bleiben.
Ruth Mays Fundstücke sind dem Museum entlehnt, der Folkore und Alltagskultur. Mittelalterliche Buchmalerei, japanischer Holzschnitt, Ikonen- und Tätowierungsmotive gehen in ihre Zeichnungen und Collagen ein.
Handelt es sich um Reiterspiele, hat vor den Körpern die Rüstung den Vorrang, bei den Bildnissen weltlicher oder religiöser Machthaber der Kleidungsstoff vor dem dargestellten Individuum, das Gefieder der Flügel vor dem personifizierten Engelsrest. Köpfe: Fehlanzeige.
Körper treten durch das in Erscheinung, was sie bedeckt und hervorbringt, mit dieser Doppelfunktion und dem Übergang von der Fläche ins Volumen setzt sich Ruth May zeichnerisch auseinander. Hier setzt ihre Arbeit am Material und seinen Bedeutungsimplikationen an.
Dabei werden Spuren und Eigenheiten des einen Mediums beim Übertrag in ein anderes, etwa Raster oder Pixelung aus Arbeitsschritten, die sie am Computer vornimmt, nicht etwa kaschiert, sondern überhöht und freigelegt. Insbesondere die Verlaufsspuren und Kleckse der Tusche werden oftmals zu Gebälken, Stützwerken oder Skeletten in den Zeichnungen ausgebaut und verstärkt, sie schaffen gratförmig neue Verbindungen und werden ins andere Medium, z. B. der Stoffarbeiten, als gleichwertige Bestandteile übertragen.
Die Schärfe solcher Eingriffe stellt sich dem Überborden des Materials entgegen. Die einzelnen Arbeiten können als Materialumschlagplätze aufgefasst werden, als Schauplätze dieser Prozesse.
Einen besonderen Kunstgriff stellen in dieser Hinsicht die beiden von Ruth May selbst als „Masken“ bezeichneten Kästen dar. Diese Objekte treten als Material und als Geschaffenes gleichzeitig in Erscheinung; sie sind Schaukasten und Rahmen zugleich für die darin aufgespannten Collagen aus Stoff. Dabei ist die vordere Ansicht glatt gefügt, aber in einer solchen Weise, dass die Rückseite – und jede Näharbeit hat bekanntlich eine solche – nichts von dem auf der Vorderseite erzeugten Bildnis erahnen lässt.
Die „Masken“ sind Ruth Mays Annäherung an das, was man Gesicht nennt. Was ist also ein Gesicht? Ein Totenschädel oder ein umgedrehter Topf, von dem Augen und Mund als Striche aufgezeichnet herübergrinsen; oder Augäpfel baumeln davon herab wie bei gewissen Grenzgängern aus Horrorfilmen, die sich ohne Papiere unter die normalen Leute gemischt haben.
Die „Masken“, begleitet von sechs Zeichnungen nach Abbildungen ritueller Verkörperungen von Voodoo-Gottheiten, sind Ruth Mays Beitrag zu der Ausstellungsreihe „Anfang Gut. Alles Gut“ in Berlin und Bregenz 2010/2011. Die Mitwirkenden an diesem kollektiven Projekt setzen sich mit der futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“ auseinander, einem anarchischen Werk aus Russland im Jahr 1913. Das Interesse der Beteiligten gilt möglichen Alternativen zur herrschenden Revolutionsgeschichtsschreibung.
Auch Ruth Mays Figuren lassen eine Neuordnung der Verhältnisse denkbar erscheinen. Sie führen den Raum, der sie umfängt und ihren Auftritt ermöglicht, gleich mit sich.
Ruth Mays Edition für die Griffelkunst geht auf ein Gemälde Louis-Michel van Loos von 1734 im Prado zurück, das die Familie Philipps V. in einer theaterhaften Architektur in Szene setzt. Hinter der zentralen Figur Elisabetta Farnese, umgeben vom Rest der spanischen Königsfamilie, fallen von hoher Decke etliche Meter roter Samt herab. Sie unterteilen das gemalte Bild als blutroter Riss und unterstützen die repräsentativen Funktionen der Herrscherfamilie. Die Feinabstimmung des Arrangements aus Menschen und Stoffen liegt bei den Händen, Händchen und Unterarmen: Sie zeigen den Besitz der Krone an, halten Fächer oder Hundepfötchen, bedienen, präsentieren, verbergen. Hände definieren die Stellung, die der dazugehörige Mensch einnimmt, um sich selbst darzustellen im Verhältnis zur Welt.
In Ruth Mays Stoffdruck ist aus van Loos Gemälde ein Ausschnitt erhalten, einige Konturen, jedoch kein einziges Gesicht; über das Schwarz verstreut die Hände; die Muster des zentralen Bekleidungsstoffs. Da sitzt nun ein Etwas mit vielen Händen, in feines Tuch gehüllt. Ins Zentrum der Figur ist eine rote Lache eingefügt, Abbild einer gezeichneten Tuschepfütze, gescannt, am Computer bearbeitet und dann erneut in eine Tuschezeichnung übersetzt. Auf dieser erst basiert der Stoffdruck für die Griffelkunst. Man kann auch an das Blut denken, das auf den Schlachtfeldern fließt, und an die Körperteile, die dort gelassen wurden. In erster Linie ist aber mit den Übersetzungsprozessen zwischen den verschiedenen Materialien und Motiven ein Prozess der Umwertungen der beteiligten Teile in Bewegung gesetzt. Dieser betrifft weniger die Bedeutung des Dargestellten als die Konventionen von Darstellung und Repräsentation, ausgehend von der Beschaffenheit der konkreten Dinge.
Unter dem Titel einer Probe unter den schlussendlichen Bedingungen, „Alles mit allem“, wird hier eine Bühne für Möglichkeiten vorbereitet. Hier wiederholt sich immer von Neuem der Moment vor der Ankunft von dem, was da kommen soll. Zum Eigentlichen wird es nicht kommen.
Sie können Ihre Masken jetzt aufsetzen.
Ruth May
1974 geboren in Hamburg