Einzelblätter
Siebdrucke
E 503
TowerI 80,0 x 60,0 cm
E 504
Tower II 80,0 x 60,0 cm
Papierqualität: 250 g/qm Old Mill bianco
Hersteller: Siebdruckwerkstatt Ahrens, Ottobrunn
Der Baukörper als Skulptur
von Brigitte Bedei
Lorenz Estermann photographiert Alltags-Architekturen, die meist ein Schattendasein im Stadtbild führen, und häufig nur am Rande wahrgenommen werden: Strandhäuser, Wartehäuschen, Tankstellen, Wurstbuden und Stromkästen, sowie gleichförmige Kommunalbauten und Hochhäuser. Mit seiner Kamera reist der in Wien und Linz lebende Künstler vornehmlich durch die Industriegebiete Mittel- und Osteuropas über Land oder durchforstet bei seinen Photorecherchen verlassene Ecken in Großstädten, in denen er Altes und Abgewohntes findet. In erster Linie interessiert ihn dabei der skulpturale Wert eines Baukörpers. Dieser dient ihm dann als Vorlage für dreidimensionale Modelle und Installationen, neue Kleinarchitekturen, die er aus ausrangierten Materialien wie Sperrholz, Wellpappe, Papieren und Kartons baut.
Im Herbst 2012 haben wir erstmalig eine Reihe von sechs Siebdrucken des Künstlers ediert. Auf unsere Anregung hin hatte der Künstler seine collageartigen Arbeiten in die Druckgraphik übersetzt und war so zu ganz neuen Bildfindungen gekommen. Die farbig angelegten Drucke waren überlagert von Aufforderungen wie »flex it«, »mix up«, »take off« etc. Andere Bestandteile des Bildes hatte Estermann assoziativ aus dem Materialfundus seines Archives dazu gesampelt.
Wir freuen uns sehr, dass wir Ihnen nun erneut zwei mehrfarbige Siebdrucke von Lorenz Estermann anbieten können. In bis zu neun Farben hat der Künstler Zeichnungen seiner architektonischen Modelle zerlegt und schließlich opulent im Siebdruck aufs Papier gebracht. Tower I und Tower II präsentieren sich als Modelle völlig funktionsloser Baukörper in leuchtend bunten Farben. In gelb, lila, grün und rot ist Tower I angelegt, der sich, auf Stelen montiert, vor blau changierendem Himmel erhebt. Tower II zeigt sich in strahlendem Orange, Gelb, Blau und Grün.
Die beiden Baukörper bewegen sich an der Schnittstelle von Architektur, Malerei und Zeichnung und wurden vom Künstler aus der Analyse von real existierenden Architekturen entwickelt.
C-Reihe / 347. Wahl III. Quartal 2012
Siebdrucke
64,5 x 48 cm / 56 x 42 cm
1. flex it
2. mix up
3. Pile up
4. pool it
5. take off
6. turn in
Papierqualität: 250 g/qm Fedrigoni, Old Mill bianco
Drucker: Siebdruckwerkstatt Ahrens, München
Architektur als Zeichnung
griffelkunst: Seit einigen Jahren photographieren Sie unterschiedlichste Alltags-Architekturen: Wartehäuschen, Stromkästen, Strandhäuser, Wurstbuden, Tankstellen. Was interessiert Sie an diesen architektonischen Gebilden? Wie verarbeiten Sie Ihre Photographien weiter?
Lorenz Estermann: Dass, was ich mache, ist ja eigentlich eine sehr persönliche Form von Architekturkritik. Ich suche dabei nicht die Nähe zur Architektur, sondern ganz besonders die Distanz. Auf diese Weise entdecke ich die angesprochenen Architekturen und Objekte. An diesem Punkt interessiert mich nur der skulpturale Wert eines solchen Baukörpers. Danachentstehen Skizzen und Zeichnungen. Sie werden im malerischen Prozess dann Teil einer neuen, rein fiktiven Umgebung. Aus diesen Arbeiten suche ich mir dann die spannendsten aus, z.B. als Vorlage für meine Modelle oder für eine Installation.
gk: In welche Regionen führen Sie Ihre Recherchen?
LE: Früher bin ich einfach tagelang mit dem Auto – zum Beispiel im Osten Europas – querfeldein gefahren. Einmal auch bis an die russische Grenze in Estland. Ich hatte manchmal noch die alten Plattenkameras dabei – für besondere Objekte. Mittlerweile finde ich aber zum Beispiel auch in Städten wie Ludwigshafen schon wunderbar verlassene Ecken.
gk: In Ihrem Werk sind neben dreidimensionalen Modellen aus Sperrholz, Pappe und Wasserfarbe Zeichnungen und übermalte Photographien zu finden. Plastik und Malerei stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander. Würden Sie sich eher als Bildhauer oder als Maler bezeichnen?
LE: Eigentlich keines von beiden. Ich sehe mich eher als Zeichner, der gezwungenermaßen, aber mit Freude, in das dreidimensionale Gebiet ausweicht. Auch beim Photographieren denke ich eher als Zeichner. Selbst meine Logos und Schriftzüge, die da und dort auftauchen, sind ganz zeichnerisch gedacht. Ich sehe im Übrigen auch die Architektur sehr nahe an der Zeichnung beheimatet. Eine Häuserzeile ist ja auch eine Art von Schriftzug.
gk: Gerade die Papierarbeiten hinterlassen den Eindruck von spontanen Ideenskizzen, die aus einer Analyse architektonischer Gebilde heraus entwickelt wurden. Dabei finden sich immer auch typographische Elemente in Ihren Bildern. Die Typographie bewegt sich dabei zwischen selbst bemalten Schildern und Graffiti. Welche Rolle spielt die Schrift in Ihren Bildern?
LE: Das ist ein sehr spannender Bereich. Ein gezeichnetes Wort, auch wenn es ein gerade erfundenes Neu-Wort ist, löst sofort bei jedem Menschen im Gehirn eine Reihe von drängenden Assoziationen aus. Damit gebe ich der Zeichnung einen kleinen Starter mit. Schrift ist die intensivste Form von Zeichnung. Man kann im Umkehrschluss auch eine Zeichnung wie einen geschriebenen Satz oder wie einen Neologismus verstehen. Ob man ihn zu lesen versteht, ist eine Frage von Geschicklichkeit und Begriffsbildung an der Sache selbst.
gk: Ihre Siebdrucke, die Sie für die griffelkunst entwickelt haben, sind überlagert von Aufforderungen: flex it, mix up, pile up, pool it, take off, turn in. Sind die Botschaften integraler Bestandteil der bildnerischen Aussage oder eher als Bildtitel zu verstehen?
LE: Nun, als Bildtitel sind sie in erster Linie nicht gedacht, obgleich sie dafür herhalten können. Angelegt habe ich sie in dem oben beschriebenen Sinne eines »Starters«, wie bei einem Motor. Das Gehirn ist dabei die Batterie mit der notwendigen Spannung, die man zum Starten des Bildes benötigt. Es ist einfach der Eintrittsbereich. Ich meine damit, natürlich mit einem Zwinkern, dass man so einen Siebdruck einfach so benutzen kann. Der ganze Aufbau ist im Hinblick auf diese Funktion im Rahmen der Edition entworfen worden. Aber das Wortgebilde war jedes Mal das Erste, was entstanden ist. Die anderen Bestandteile des Bildes kamen dann aus dem Material meines Archivs dazu.
gk: Für Ihre Griffelkunst-Edition haben Sie erstmalig im Siebdruck gearbeitet. Entstanden ist eine aufwendig gedruckte Edition, in der Sie Ihre Arbeit sehr überzeugend in eine graphische Technik übersetzt haben. Wiewar die Zusammenarbeit mit Christian Ahrens in der Siebdruck-Werkstatt?
LE: Zunächst muss ich sagen, dass es nicht leicht war, so eine Übersetzung in eine neue Technik wie den Siebdruck zu wagen. Ich habe wochenlang am Rechner gesessen und habe die Vorlagen bis in die einzelnen Pixel aufgearbeitet. Der Siebdruck kann ja nur nein oder ja umsetzen; alle Zwischentöne müssen vorerst raus. Gelungen ist das alles nur, weil Christian Ahrens einfach einer der besten Siebdrucker ist! Ich habe mich da völlig sicher fühlen können, ich wusste, der biegt das schon hin, wenn es irgendwo zwickt.
Das Interview für die griffelkunst führte Brigitte Bedei mit Lorenz Estermann per E-Mail im August 2012.
Lorenz Estermann
1968 geboren in Linz, Österreich