Zwischen den Zeilen: Ceal Floyer
Wer kennt die Verheißung nicht, die von einem neuen Buch, besonders von einem Notiz- oder Tagebuch ausgeht: Welche bedeutenden Gedanken und verrückte Erlebnisse wird man ihm anvertrauen? Reichen diese Seiten für ein Jahr oder ein ganzes Leben? Wird es eine Fortsetzung geben, einen zweiten und einen dritten Band oder eine zweite Auflage, wegen des großen Erfolges? Ceal Floyers Multiple First Edition spielt mit solchen Gedanken. Als Konzeptkünstlerin versteht sie es, mit minimalistischen Mitteln zum Nachdenken anzuregen, ohne eine Konklusion gleich mitzuliefern. Ihre Werke sind bewusst offen und mehrdeutig gehalten und setzen bei unserer Alltagswahrnehmung und unserer Erwartungshaltung an.
Im eigentlichen Sinn ist es genau das, was auf der Banderole steht: Ceal Floyers erste Edition für die griffelkunst, die erste Auflage, auf die mehrere folgen können. Dass der Umschlag schwarz ist, wie bei einem klassischen Notizbuch oder Zeichenheft, unterstreicht den Objektcharakter des Werks. Die Banderole schützt die Edition wie ein Siegel, das nur brechen darf, wer das Buch auch wirklich als persönliches Mitgliederexemplar betrachtet. Man stolpert beim Öffnen vielleicht über die leeren Seiten, doch dann hat man den Inhalt nicht von vorne bis hinten „gelesen“. Erst dann öffnet sich zwischen den Zeilen und Seiten die Mehrdeutigkeit des buchstäblichen Inhalts. In nur drei Worten entwickelt sie den gesamten Inhalt des Buches, der Rest ist Kopfsache.