Dunkler Dialog: Miron Zownir
Bilder aus dem toten Winkel
Über die Photographien von Miron Zownir (Auszug)
von Petra Schröck
Ein unvermutetes Sujet bildet den Auftakt der von Miron Zownir ausgesuchten sechs Photographien. Eine Ponydressur auf offener Straße im West-Berlin der späten 1970er Jahre. Das blonde Pony überragt den Dompteur, sodass die Nüstern auf Augenhöhe mit seinem Gesicht sind. Mensch und Tier agieren vertrauensvoll miteinander. Im Hintergrund Nachkriegsbauten, fahrende Autos, ein Doppeldecker-Bus und ein paar Passanten. In dieser frühen Aufnahme fungiert bereits der großstädtische Raum als Bühne des absurden Welttheaters, das den umtriebigen Photographen von Anbeginn interessiert.
Fast 40 Jahre später in Los Angeles posiert ein Transsexueller in Korsage, Netzstrümpfen und High Heels in bühnenreifer Pose auf dem Walk of Fame in Hollywood. I’m not down, scheint sein Blick zu rufen, ich genieße gerade den Moment der Verführung. Anmutig, bizarr, stark und selbstbewusst. Derart gewappnet könnte er beim Casting für die Neuverfilmung von Cabaret oder der Rocky Horror Picture Show anheuern. In diesem Jahr (2016) dokumentierte Zownir die Vorzeichen der Ära Trump in Kalifornien. Er photographierte in den Elendsvierteln der Westküstenstädte San Francisco und Los Angeles, die sich immer mehr zuspitzende soziale Spaltung von Arm und Reich jenseits von Glamour und dem „American Way of Life“.
Schwarz-Weiß hat viele Tiefen, Kontraste und eine reduktive Konzentration auf das Wesentliche. Die Wirklichkeit ist auch in Schwarz-Weiß schwer zu ertragen. Zownirs Bildnis eines Moskauer Obdachlosen mit Zigarette, der dem Betrachter seine verstümmelte Hand entgegenstreckt, ist ein Bild aus der Werkgruppe Down and Out in Moscow (1995), die in aller Härte den sozialen Ausnahmezustand dokumentiert, als 300.000 Menschen in menschenunwürdigstem Zustand auf der Straße überleben mussten. Der Blick des Mannes hinter den zwei übereinandergesetzten Brillen ist traurig, aber fordernd und unbeugsam. Diese Bilder dokumentieren einen Schwebezustand zwischen Leben und Tod und wirken aus historischer Distanz wie ein Requiem: Sterbende und Tote auf den Straßen, Bahnhöfen und Unterführungen.
Zwei Zownir’sche Photographien aus dem Berliner (1980) und New Yorker Nachtleben (1982) erzählen von exotischen Nachtschwärmern und ihrer Lust am Selbstdarstellerischen im souveränen Spiel aus Gesten und Deutungen: eine halb nackte Schönheit mit Glatze in einem Berliner Nachtcafé in lässig provokativer Pose inmitten gewöhnlicher Leute. Und ein cooles Paar in mysteriöser Zweisamkeit in schillerndem Outfit in New York. Das Doppelbildnis besticht durch die sensuelle Licht-Schatten-Führung im harten Schwarz-Weiß-Kontrast, die an Caravaggios schlaglichtartige Lichtregie erinnert. Das Pokerface des Mannes in Smoking und Rüschenhemd verschmilzt unter dem Hut nahezu völlig im nächtlichen Schwarz, die Femme fatale im Glitzerkleid setzt sich neben ihm lasziv in Szene. Ein dämonischer Dunkelmann und eine unschuldige Blondine wie aus einem Gangsterfilm der Schwarzen Serie entsprungen. Zownir dokumentiert in den frühen 1980er Jahren den Transvestitenstrich der New Yorker Sexpiers, wo Elend und Ekstase einer sexuellen Minderheit sichtbar wurde. Einerseits mutige Verkörperungen erkämpfter individueller Freiheit jenseits heterosexueller Norm, andererseits Drogensucht, Gewalt, Abhängigkeit.
In dieser Zeit bezeichnet ihn der Schriftsteller Terry Southern als „Poet der radikalen Photographie“, ein zutreffendes Label für die Kontinuität seines Gesamtwerkes, das auch für die frühe Aufnahme aus London (1979) zutrifft, die den vorliegenden Bildzyklus abschließt. Ein schlafender junger Mann auf einer Friedhofsbank. Rasant komponiert mit dynamischen Bildachsen im Hochformat. Gerade diese Bilder bergen etwas immateriell Poetisches und einen anarchistischen Kern, was generationenübergreifend die Fantasie der Betrachtenden anregt.