griffelkunst

David Tremlett

C-Reihe, 398. Wahl, II. Quartal 2025

398 C1 Add & Subtract I
398 C1 Add & Subtract I
398 C2 Add & Subtract II
398 C2 Add & Subtract II
398 C3 Add & Subtract III
398 C3 Add & Subtract III
398 C4 Add & Subtract IV
398 C4 Add & Subtract IV

Wandzeichnungen

von Brigitte Bedei

Die Umsetzung einer Graphik-Edition mit einem Bildhauer stellt eine besondere Herausforderung dar. Denn während die Bildhauerei mit dem Raum arbeitet, entfaltet sich die Graphik auf der zweidimensionalen Fläche des Druckträgers. Zum zweiten Mal haben wir David Tremlett eingeladen, dessen Werke genau an dieser Schnittstelle zwischen Raum und Fläche entstehen. Tremlett ist bekannt für seine Walldrawings – Wandzeichnungen und Wandmalereien, die seit den späten 1970er-Jahren weltweit in Museen, Sakralräumen, Ruinen oder privaten und öffentlichen Gebäuden zu finden sind. Sein Formenrepertoire besteht aus Linien und unregelmäßigen geometrischen Flächen, die oft an architektonische Grundrisse erinnern. Architektur ist ein zentrales Thema seines Werkes und immer wieder Ausgangspunkt seiner ortsspezifischen Interventionen.

Der Künstler arbeitet häufig mit Pastellkreiden, die er mit den Händen direkt in die Wand hinein reibt. sagt Tremlett. Seine Farbpalette reicht von erdigen Tönen bis zu leuchtendem Rot, Gelb, Blau und Grün – Farben, die auch in einer früheren Griffelkunst-Edition aus dem Jahr 2014 zu finden sind. David Tremlett lebt in Bovingdon, einem kleinen Ort etwa 40 Kilometer nordwestlich von London. Hier besuchen wir ihn in seinem Atelierhaus. An den Wänden hängen unzählige Skizzen und Zeichnungen – Momentaufnahmen vergangener und zukünftiger Projekte. Eines davon ist The Organ Pipes, ein künstlerischer Eingriff im ehemaligen Mangimificio Caffarri in Reggio Emilia, Italien. Dort gestaltete er die Außenfront von 13 riesigen Silos mit seiner charakteristischen Farb- und Formensprache.

Während wir uns durch das Atelier bewegen, tauchen wir immer tiefer in sein Werk ein. Schränke voller Skizzen und Zeichnungen offenbaren eine Serie von Pastellarbeiten, die Tremlett Add and Subtract betitelt. Bleistiftlinien und Kurven verdichten sich zu architektonischen Strukturen. Speziell für uns wird er neue Zeichnungen anfertigen – inspiriert von seinem langjährigen Interesse an mathematischen und architektonischen Fragestellungen. Diese Werke bilden die Grundlage für unsere Edition.

Zurück in Hamburg begeistern wir den Steindrucker Felix Bauer aus Köln für Tremletts Arbeiten – und für die Herausforderung, seine Zeichnungen in eine druckgraphische Technik zu übersetzen. Mit Umdruckpapieren und verschiedenen Kreiden reist Bauer später nach Bovingdon. Unter seiner Anleitung überträgt der Künstler seine Zeichnungen akribisch, Schicht für Schicht, auf das spezielle Papier. Dabei bleibt seine Handschrift erhalten: Wie gewohnt arbeitet er direkt an der Wand, indem er das Papier dort befestigt und die Kreide in die Oberfläche hinein reibt. Für feinere Nuancen verwischt er die Farbfelder mit Filz und erzeugt so sanfte Übergänge.

In der Kölner Druckwerkstatt überträgt Felix Bauer schließlich die 16 entstandenen Umdruckpapiere auf 16 verschiedene Lithographiesteine. Daraus entstehen vier Motive, die als quadratische Kompositionen Tremletts künstlerische Handschrift bewahren. Die Farbpalette bleibt erdig, durchbrochen von intensivem Grün und Gelb. In der Mitte jedes Bildes erscheint ein scharfkantiges Quadrat, eingefasst von einer präzisen Linie. Hier beginnt das Spiel von Addition und Subtraktion: Geometrische Formen werden herausgenommen, andere hinzugefügt. Die Verbindung aus Zeichnung, Farbe und der handwerklichen Präzision des Druckers Felix Bauer bringt eine vierteilige Serie auf Papier – ein Zusammenspiel aus Fläche und Architektur. Die Lithographien von David Tremlett finden an den Wänden unserer Mitglieder einen neuen Platz – und verwandeln sich so zurück in Wandzeichnungen.

Projekt-Reihe
355./356. Wahl
III./IV. Quartal 2014

Aquatinta-Radierungen
73,0 x 72,0 cm / 60,0 x 60,0 cm

P37 FORM AND RHYTHM print/1
P38 FORM AND RHYTHM print/2
P39 FORM AND RHYTHM print/3
P40 FORM AND RHYTHM print/4
P41 FORM AND RHYTHM print/5
P42 FORM AND RHYTHM print/6

Papierqualität: 340 g/qm Zerkall Bütten
Drucker: Kunst- und Radierwerkstatt W. Jesse, Inh. M. Jäger, Berlin

Wandzeichnungen

von Brigitte Bedei

Mit David Tremlett stellen wir in der aktuellen Griffelkunst-Wahl einen der wichtigsten Künstler der Minimal Art vor. Der 1945 in Cornwall geborene Bildhauer arbeitet seit Ende der Sechzigerjahre an einem erweiterten, aus der »concept art« entwickelten Skulpturenbegriff. Wie seine Künstlerkollegen Lawrence Weiner und Fred Sandback, die schon vor einigen Jahren mit großartigen Editionen in der griffelkunst zu sehen waren, versteht auch David Tremlett seine zeichnerische Arbeit im Raum als bildhauerischen Akt. Lawrence Wiener lässt Skulptur über Sprache entstehen, Fred Sandback zeichnet Skulpturen mit Wollfäden in den Raum und David Tremlett schafft großflächige »Walldrawings«, in denen die Wand selbst zur Skulptur wird, die Fläche und Raum definiert. Seine Wandzeichnungen bilden eine unlösbare Einheit mit ihrem räumlichen Kontext, indem sie Rhythmen und Proportionen vorgefundener Architektur nachspüren oder verlorene Elemente rekonstruieren. Tremletts Formen sind Linien und unregelmäßige geometrische Körper, stilisierte Architekturformen, die er mit Farbpigmenten direkt auf die Wand »baut«: »Ich baue tatsächlich etwas in meinen Wandzeichnungen, aber in der Fläche«, sagt Tremlett. Seine ortspezifischen Werke platziert der Künstler dabei nicht nur in Museen und privaten oder öffentlichen Gebäuden, sondern auch in verlassenen, verfallenen Ruinen und Sakralbauten. Tremletts größte Wandzeichnung misst 16 mal 46 Meter — sie befindet sich im Wintergarten der Britischen Botschaft in Berlin. Charakteristisch für Tremletts Werk ist dabei auch seine stets in matten Farbtönen gehaltene Farbpalette. Sie reicht von erdigen Tönen bis zu kräftigen Farben wie Rot, Gelb, Türkis und Grün.

Die Entwicklung seines Werkes ist eng verbunden mit ausgedehnten Reisen, vor allem durch Afrika, Asien, den Orient und Italien. Die hier erlernten Zeichen und geometrischen Formen, Reminiszenzen abstrahierter Architekturen und Grundrisse, fließen in seine großen Wandarbeiten. So stieß er in Afrika auf Häuserfassaden, die großflächig mit farbigen Pigmenten gestaltet waren. Das führte ihn schließlich zur Erweiterung seiner bis dahin graphisch-linearen Arbeit zu farbigen Flächen.

Seine Künstlerbücher dokumentieren seine Arbeit und gelten als eigenständige Werke. Neben den Wandzeichnungen sind seit den Achtzigerjahren Arbeiten auf Papier entstanden. Seine Pastellzeichnungen auf Karton bringt Tremlett von seinen Reisen mit, andere entstehen im Atelier in England.

Sechs dieser Zeichnungen hat uns Tremlett geschickt, nachdem wir ihn eingeladen hatten, eine Edition für die griffelkunst zu entwickeln. Es sind geometrische, vollflächige Kompositionen mit eingefügten grundrissähnlichen Linien, die jeweils von zwei Seiten durch eine schwarze Form begrenzt werden. Jede Zeichnung ist in drei Farben angelegt. Die Pastellkreide liegt dabei beinahe wie ein lose aufgeriebener Puder auf dem Papier. In einem aufwendigen Transferdruckverfahren über Ölpapier ist es gelungen, diese für Tremletts Werk so charakteristische Oberflächenstruktur in die Radierung zu überführen, sodass nun eine Reihe von sechs farbigen Aquatinta-Radierungen vorliegt.

Es sind ganz wunderbare Arbeiten, die David Tremlett für die griffelkunst geschaffen hat. Jedem Raum, in dem sie künftig hängen, werden sie eine eigene Rhythmik verleihen, ihn verändern und zum Tanzen bringen.

David Tremlett

David Tremlett

1945 geboren in Cornwall