Sabine Hornig
DEMOKRATIE AUS GLAS
von Stephanie Bunk
Die in Berlin lebende Künstlerin Sabine Hornig haben wir 2023 mit zwei großformatigen Einzelblättern vorgestellt. Sie entstanden im Nachklang ihrer monumentalen Arbeit für die Glasfront des New Yorker LaGuardia Flughafens. Ihre neue Griffelkunst-Edition ist ein Vorgriff auf eine dauerhafte Installation an einem Gebäude, das erst 2027 fertiggestellt wird. Es handelt sich um das neue Bundestagsgebäude in der Schadowstraße in Berlin. Mitten im Regierungsviertel entsteht ein Haus für Abgeordnete mit einer Cafeteria, die Hornig zum Titel ihrer Arbeit inspiriert hat: Café Schadow (2019–2026). Ihre transparente Photoarbeit, die sich auf der Glasfassade über eine Länge von mehr als fünf Metern erstreckt, untersucht den Zusammenhang zwischen der Geschichte der Architektur und der Geschichte der Demokratie. Aufnahmen von offenen Glasbauten der Moderne in West und Ost überlagert sie collageartig mit Bildern aus dem Bildarchiv der Bundesregierung. Eigene Photographien der abgerissenen Architektur der DDR-Moderne erweitern das Bild bis in die jüngste Vergangenheit. Ein besonderes Augenmerk richtet Sabine Hornig dabei auf die wenigen Frauenpersönlichkeiten, die seit der Nachkriegszeit Eingang in die Geschichte gefunden haben.
Die Edition für die griffelkunst ist ein Detailausschnitt aus der Glasarbeit Café Schadow. Das auf eine spiegelnde Glasscheibe gedruckte Bild setzt sich aus zwei Photographien zusammen. Eine zeigt Petra Kelly während einer Rede 1983 im Bundestag, wo sie bis 1990 als Gründungsmitglied der Grünen ihre Partei vertrat. Zu sehen ist nur Kellys Silhouette, ihr Gesicht ist ausgespart. Darüber hat Hornig ein zweites Bild gelegt, das sie durch die Scheibe des Bundesverfassungsgerichts hindurch photographiert hat. Beim Betrachten der Edition sieht man sich selbst als Petra Kelly, sodass der Eindruck entsteht, man würde an ihre Stelle treten.
Das Material Glas steht bei Hornig nicht nur für Transparenz und die Verbindung von Außen- und Innenraum. Es lädt auch zur Partizipation ein, denn durch Spiegelungen und Durchsichten wird man Teil des Werks. Transparenz und Partizipation verkörpern zwei wesentliche Elemente demokratischen Handelns, die in Sabine Hornigs Edition zusammenwirken und zum Nachdenken anregen.
E 600
This Is No Time For
84,1 × 63,2 cm / 78,5 × 57,6 cm
E 601
It Requires More Courage
84,1 × 63,2 cm / 78,9 × 58,0 cm
Offsetdruck mit Siebdruck
Papierqualität: 350 g/qm Profisilk
Druck: Beisner Druck GmbH & Co. KG, Buchholz
Fenster/Bilder
von Stephanie Bunk
Sabine Hornig verwebt in ihrem Werk Skulptur, Architektur und Photographie. Viele ihrer Arbeiten entstehen für einen konkreten Ort, doch auch ohne den konkreten Ortsbezug greifen sie in den Ausstellungsraum ein und stoßen durch ihre Präsenz ein Nachdenken über Fragen der Wahrnehmung an. Eines ihrer liebsten Materialien ist Glas und eines ihrer zentralen Themen sind Fenster, die als Sinnbild für die Wahrnehmung der Außenwelt in der Kunst und der Photographie von jeher von zentraler Bedeutung sind. Viele ihrer Arbeiten beinhalten Aufnahmen von Fensteransichten, die durch Spiegelungen beide Seiten des Fensters, das Innen und das Außen, in Einklang bringen. Durch die Wahl des Glases als Bildträger und die Präsentation in Form von Installationen vervielfältigen sich die Spiegelungen und Durchsichten und nehmen den Ausstellungsraum und die Besucher mit in das Bild auf. Überhaupt denkt Sabine Hornig die Betrachtung und die Betrachtenden mit, die – indem sie Teil des Bildes werden – sich selbst und den eigenen Ort über das Medium Bild reflektieren.
Alle diese Komponenten kommen auch bei der monumentalen Arbeit für den öffentlichen Raum am New Yorker LaGuardia Flughafen zusammen, die Sabine Hornig 2020 realisiert hat. La Guardia Vistas ist eine transparente Photoarbeit auf der Glasfront des Flughafens, die sich über eine Länge von fast 82 Metern und auf einer Höhe von fast 13 Metern erstreckt. Sie setzt sich zusammen aus Ansichten der Skyline von New York, wie man sie vom Flughafen aus wahrnimmt, allerdings in einer Schärfe und Brillanz, welche die Möglichkeiten des menschlichen Sehens übersteigt. Wie eine Collage wurde die Photoarbeit aus mehr als 1100 einzelnen Aufnahmen zusammengesetzt. Es handelt sich um zwei Panoramen New Yorks, bei Tag und bei Nacht aufgenommen, die ineinander verschränkt wurden, sodass die eine die Lücken der anderen füllt. Fällt Licht durch die Fenster, wird die Arbeit zu einem riesigen Diapositiv, durch welches das Bild in den Raum und auf die Besucher projiziert wird. Erweitert wird die Bildebene durch eingearbeitete Zitate von Fiorello La Guardia, der von 1934 bis 1945 Bürgermeister New Yorks war und Gründer und Namensgeber des Flughafens ist. Als Bürgermeister hat er sich für die Gleichstellung von Einwanderergruppen, kostenfreie Bildung und öffentliche Wohnungsbauprojekte eingesetzt. Aus heutiger Perspektive wirken einige seiner Zitate brisant, denn die Stadt hat sich in den letzten 100 Jahren in eine andere Richtung entwickelt. Heute prallen in New York riesige, futuristische Wolkenkratzer in Manhattan auf ältere Wohnhäuser aus der Zeit von La Guardia aufeinander, wie Hornigs Arbeit sehr anschaulich zeigt.
Die Arbeit an La Guardia Vistas ist für Sabine Hornig nach der Fertigstellung des Flughafenprojektes noch nicht abgeschlossen. Die Künstlerin arbeitet mit den entstandenen Motiven weiter, indem sie Ausschnitte wählt, die sie in Installationen zeigt. 2022 war sie mit einer Photoarbeit, die von La Guardia Vistas ausging, auf einer Fensterfront der Galerie der Gegenwart im Rahmen der Ausstellung Give and Take, Bilder über Bilder in der Hamburger Kunsthalle vertreten. Daneben entstehen Pigmentdrucke, die sie teilweise mit Zitaten von Fiorello La Guardia im Siebdruck überlagert. Zwei dieser Arbeiten hat die Künstlerin für ihre Griffelkunst-Edition ausgewählt. Es handelt sich um bei Nacht aufgenommene Ansichten der Skyline New Yorks. Man sieht die für die Stadt charakteristischen Gebäude und Baustellen, das Nebeneinander von Alt und Neu und erhält Dank der hochauflösenden Aufnahmen sogar Einblick in einzelne Zimmer. Durch die Integration von Text ins Bild wirken die beiden Einzelblätter wie Plakate und rufen das politische Ziel La Guardias in Erinnerung, das bis heute nicht an Relevanz verloren hat. Die Zitate verweisen auf seine Bereitschaft zum Kompromiss und zur Verhandlung, wenn es um das Wohl der Bürger New Yorks ging. Eine Bereitschaft, die auch heute von der Politik immer wieder gefordert wird und angesichts von politischen Grabenkämpfen und der viel beschworenen Spaltung der Gesellschaft auch hierzulande wünschenswert wäre.

Sabine hornig
1964 geboren in Pforzheim, lebt und arbeitet in Berlin