griffelkunst

Martin Rosswog

B-Reihe / 369. Wahl
I. Quartal 2018

C-Print
1. Obljanska, Ukrajinski Karpaty, Ukraine, 1993
30,0 × 39,5 cm / 28,0 × 37,5 cm
2. Costeni, Maramures , Rumänien, 1999
30,0 × 37,0 cm / 28,0 × 35,0 cm
3. Millemillange, Creuse, Frankreich, 1993
30,0 × 39,5 cm / 28,0 × 37,5 cm
4. Cikó, Ungarn, 2003
30,0 × 39,6 cm / 28,0 × 37,6 cm
5. Rösrath, Bergisches Land, Deutschland, 1991
30,0 × 39,6 cm / 28,0 × 37,6 cm
6. Vale de Algoso, Trás-os-Montes, Portugal, 2010
30,0 × 39,7 cm / 28,0 × 37,7 cm

Papierqualität: Fuji Crystal Archive Papier
Hersteller: Kontrast, Fotofachlabor, Köln

Mehr als ein Tisch

von Stephanie Bunk

Ein Tisch lädt zum Bleiben ein, strahlt Gastlichkeit aus, egal, wie der Raum, in dem er steht, auch aussehen mag. Ein Tisch kann der Mittelpunkt einer Wohnung sein. Er kann aber auch ein Rückzugsort sein, ein Platz zum Nachdenken oder Schreiben. Fast immer liegt etwas auf dem Tisch: Mal ist er spärlich gedeckt, ein Kanten Brot, etwas Salat, ein Einmachglas, ein Ei. Auf einem Tisch in Portugal findet der Betrachter Blütenzweige in einer kleinen Kristallvase. In Rösrath, im Bergischen Land, steht eine ordentliche Thermoskanne in der Mitte des Tisches, die gewebte Tischdecke wird durch eine Plastikfolie vor Kaffeeflecken geschützt. Martin Rosswog war zu Gast in vielen Ländern und hat auf seinen Reisen an vielen Tischen gesessen, vor allem hat er sie jedoch photographiert. Für die Griffelkunst-Edition hat der Photograph Küchen- bzw. Tischsituationen aus sechs europäischen Ländern zusammengestellt. Sie sind als Einladung für den Betrachter zu verstehen, sich mit an den Tisch zu setzen und den Blick durch den Raum schweifen zu lassen.

Die ausgewählten Photographien sind Teil eines groß angelegten Projekts, das Martin Rosswog seit etwa 1989 verfolgt. Die Serie Heritage dokumentiert ländliche Innenräume in ganz Europa. Rosswogs Ziel ist es, die länder- und regionaltypischen Wohnformen für die Nachwelt festzuhalten, bevor sie als Folge der fortschreitenden Moderne und Globalisierung verschwinden. Für das Projekt arbeitet er mit Volkskundlern und Historikern zusammen und geht streng systematisch-dokumentarisch vor. Zunächst lag ein Schwerpunkt seines Langzeitprojekts auf den Ländern Osteuropas wie Weißrussland, Estland, Litauen oder Rumänien. Danach konzentrierte er sich auf die südeuropäischen Länder, wie Portugal, West-Spanien und Italien. Seine Motive findet er in ländlichen Wohn- und Lebensräumen, abseits touristischer Pfade. Meist reist er mehrfach in eine Region, um die ausgewählten Häuser und Gehöfte in Bildreihen zu dokumentieren. Zu jeder dieser Reihen gehören ein Porträt der Bewohner, Außenansichten des Hauses und des Grundstücks, und schließlich die Erfassung der Wohnräume mit Einrichtungsgegenständen und Details in Form von Stillleben.

Martin Rosswogs besonderes Augenmerk gilt Haus- und Wirtschaftsbauten, die noch weitestgehend von modernen Einflüssen verschont blieben und denen noch die jahrhundertelange, bis in die vorindustrielle Zeit reichende Nutzung anzusehen ist. In den Photographien überlagern sich die verschiedenen Zeitebenen und Nutzungsformen, welche die Räume »erlebt« haben, zu einem Nebeneinander von Vergangenheit und gelebter Gegenwart mit allen damit verbundenen Widersprüchlichkeiten. Trotz der dokumentarischen Strenge seines Vorgehens, die Martin Rosswog als Meisterschüler von Bernd Becher bis heute kennzeichnet, wirken die Innenräume wie Kompositionen, in denen die Essenz eines Raumes und die Realität seiner Bewohner sichtbar werden.

Martin Rosswog

1950 geboren in Bergisch Gladbach