C-Reihe, 400. Wahl, IV. Quartal 2025
Technik, Tanz und Tempo
von Stephanie Bunk
100 Jahre sind seit der Gründung der griffelkunst vergangen. Was das damals für eine Zeit war, lässt sich anhand von historischem Bildmaterial ermessen, das wir aus der Sammlung Ullstein bei ullstein bild ausgewählt haben. Die Serie Aufbruch in eine neue Zeit. Photographien aus den 1920er-Jahren spiegelt den Geist dieser Zeit: technische Entwicklungen, Fortschrittsglauben, eine Blütezeit von Kunst und Kultur und ein neues, selbstbewusstes Frauenbild in der Weimarer Republik. Die sechs Motive wurden damals in den Magazinen des Ullstein Verlags veröffentlicht, um die Leserinnen und Leser auf dem Laufenden zu halten.
Zwei Rennwagen schießen durch das Bild von Walter Gircke (1885–1974). Er hat ein Rennen auf der AVUS in Berlin-Grunewald festgehalten (C1). Das Bild zeigt nicht nur die technischen Möglichkeiten des Auto-baus dieser Zeit, sondern auch der Kameratechnik, die solche Aufnahmen möglich machte. Das Automobil trat gerade seinen Siegeszug an, Geschwindigkeit war das Gebot der Zeit. Das gilt auch für den Zeppelin. Ein so genanntes Amerikaluftschiff hat Willi Ruge (1892–1961) auf dem Weg in die USA über dem Hamburger Hafen photographiert (C4). Man beachte die besondere Perspektive, denn es handelt sich um eine Luftaufnahme. Der Hamburger Hafen ist auch auf einer weiteren Aufnahme der Serie zu sehen: die Einfahrt des Auswandererschiffs Hansa, das Deutsche in die USA brachte (C2). Auf der Aufnahme von Otto Reich aus dem Jahr 1922 wird das Einlaufen des Schiffes an den Landungsbrücken gefeiert, ganz in der Nähe des früheren Domizils der griffelkunst auf St. Pauli. Gefeiert haben auch die jungen Mitglieder der Tiller Girls, einer Tanzgruppe, die in den Revuetheatern Berlins für Furore sorgten. Das Photo zeigt sie 1926 bei der Heimkehr im Morgengrauen vor dem Brandenburger Tor (C5). In den Luftballons spiegeln sich die Fassaden des Pariser Platzes, der wie das Brandenburger Tor im Nebel der Zeit verschwindet. Der Photograph oder die Photographin dieser Aufnahme ist leider unbekannt.
Sämtliche Neuabzüge der Edition sind nach Originalabzügen aus der Zeit entstanden, die sich heute in der Sammlung Ullstein bei ullstein bild befinden. Die Qualität und der Zustand der Originale unterliegen daher starken Schwankungen. Nicht nur, dass die Abzüge gealtert sind. Auch die Aufnahme- und Papierqualität war damals eine andere. Die teilweise kontrastarmen, verblichenen, beschädigten und zwischen verschiedenen Sepiatönen changierenden Photos in moderne Abzüge zu verwandeln, ohne ihren historischen Charakter zu opfern, war eine große Aufgabe. Dabei haben uns, wie zuvor bei der Edition von Madame d’Ora, Dr. Katrin Bomhoff von ullstein bild und Laura Hegewald und David Burghardt von Recom Art unterstützt. Dort wurden die Vintage Prints gescannt, bearbeitet und auf Photopapier ausbelichtet. Besondere Sensibilität war bei dem Selbstporträt mit Papagei von Frieda G. Riess (1890– 1957) nötig (C3). Die Studioaufnahme aus dem Jahr 1922 lebt von dem subtil eingesetzten Licht und weist im Original bereits deutlich sichtbare Aussilberungen auf. Der Neuabzug lässt dieses wunderbare Selbstporträt in neuer Schönheit erstrahlen. Die Serie schließt eine Aufnahme des Studios d’Ora – Atelier Benda, Wien ab. Das Photo zeigt die ausdrucksstarken, kunstvollen Luftsprünge der Tänzerinnen Gisa Geert und Ilka Zezulak, die 1928 in Wien eine Tanzschule eröffnet hatten (C6). Ihre Freude an der Bewegung und am Aufbruch in eine neue Zeit wirken ansteckend.