Nobuko Watabiki
Einzelblätter E 618|E 619
Fließende Gedanken
von Brigitte Bedei
Nobuko Watabiki ist Malerin. Sie wurde in Tokio, Japan, geboren und lebt und arbeitet seit 2008 in Hamburg. Im selben Jahr erscheint ihr Buch Curious Hands: Freeing Myself and Becoming a Painter. Darin beschreibt sie, wie sie durch ihre Kunst persönliche Erfahrungen und Emotionen verarbeitet und sich als Malerin entwickelt hat – von frühen Photo-Collagen hin zu ihrer charakteristischen Verwendung von Materialien wie Washi-Papier, Textilien und Ölkreide. Das Buch bietet Einblicke in ihre künstlerische Philosophie und die Themen, die sie in ihrer Arbeit erforscht, wie z.B. die Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen sowie die Dynamik von Nähe und Distanz. »Mit der Hand arbeiten und nachdenken – das bestimmt mein Leben«, sagt Nobuko Watabiki. Ihre Bilder zeugen davon.
Watabikis Bildsprache ist geprägt von klaren, organischen Formen, die Assoziationen ins Gegenständliche eröffnen. Sie verbindet Elemente der japanischen Kultur mit universellen Themen wie Identität, Kommunikation und Vergänglichkeit. In klaren, kontrastreichen Farben entwickelt sie Bilder, die an Märchenhaftes erinnern und sich zwischen Fantasie und Realität bewegen. Ein wiederkehrendes Motiv in ihren Arbeiten ist der menschliche Kopf – reduziert auf einfache Konturen, manchmal mit Augen versehen. Diese Köpfe stehen für Gedanken, Erinnerungen und innere Welten. Daneben spielt auch die Natur eine zentrale Rolle in ihrer Malerei: Pilze, Blüten und Samen symbolisieren Wachstum, Transformation und die zyklische Wiederkehr des Lebens. Bereits 2021 haben wir die japanische Künstlerin mit einer Serie großformatiger, farbiger Holzschnitte vorgestellt. Zwei stilisierte Köpfe bildeten den Auftakt der Reihe, flächig ausgeführt in Gelb und Rosa. In ihren aktuellen Graphiken greift Watabiki dieses Motiv erneut auf – diesmal in den Farben Gelb und Braun. Ebenso wie ihre tiefe Liebe und respektvolle Haltung zur Natur spiegelt sich darin ein offenes, sensibles Verständnis für unterschiedliche Facetten menschlicher Existenz wider.
Ihre Köpfe sind stets mit Strukturen verbunden, die von der Pflanzenwelt inspiriert sind. In einem changierenden Blau sprießen runde Formen aus dem Kopf wie sprudelnde Gedanken – sie erinnern an Blüten, während ihre geometrisch angelegte Binnenstruktur ihnen eine fast dreidimensionale Wirkung verleiht. Das flächige Braun in E 618 weist eine durchlässige Textur auf, die assoziativ an eine Landschaft erinnert. Auch das zweite Motiv E 619 thematisiert die Verbindung zur Natur: Ein flächig in Gelb angelegter Kopf, diesmal mit Augen, ist durch eine zarte rote Lavur mit einer ovalen Form verbunden, die eine amorphe Struktur aufweist.
Ihre beiden Einzelblätter hat Nobuko Watabiki in der Technik der Lithographie umgesetzt. Dadurch wirken die Graphiken malerischer als die zuvor edierten Holzschnitte, die durch die sichtbare Holzmaserung eine ganz eigene Textur erhielten. In der Hamburger Werkstatt Handdruck Loeding & Sturm hat die Künstlerin ihre Motive direkt auf den Lithostein gezeichnet. Schicht für Schicht entwickelte sich das Bild. Gemeinsam mit dem Drucker Lars Lundquist wurden in zahlreichen Andrucken die Farben abgestimmt, bis die Lithographien auf hochwertigem Velin- Büttenpapier gedruckt wurden. So sind zwei Werke entstanden, in denen Handwerk und Intuition, Natur und Gedanken eine feinsinnige Verbindung eingehen.
A-Reihe / 381. Wahl
I. Quartal 2021
Holzdruck
1. ohne Titel
86,0 × 66,0 cm / 64,0 × 52,0 cm
2. ohne Titel
86,0 × 66,0 cm / 58,0 × 43,5 cm
3. ohne Titel
86,0 × 66,0 cm / 64,0 × 52,0 cm
4. ohne Titel
86,0 × 66,0 cm / 67,5 × 55,5 cm
5. ohne Titel
66,0 × 86,0 cm/ 49,0 × 60,0 cm
6. ohne Titel
66,0 × 86,0 cm/ 51,5 × 57,5 cm
Papierqualität: 224 g/qm RT Funktional
Druck: Atelier für Druckgrafik, Wedel
Über Gedanken, die wie Pilze aus dem Kopf schießen
von Brigitte Bedei
Die Bilderwelt der japanischen Künstlerin Nobuko Watabiki scheint auf den ersten Blick einfach. Die großformatig angelegten Motive, die zwischen Gegenständlichkeit und Gegenstandslosigkeit changieren, bestehen aus runden und ovalen Formen, die flächig angelegt sind. In einer reduzierten Formensprache entwickelt die Künstlerin in klaren, kontrastreichen Farben Bilder, die an Märchenhaftes erinnern. In ihrer Holzdruck-Serie gewährt sie uns Einblicke in ihre Vorstellungswelt, die einerseits die eigene Verfasstheit zeigen, andererseits eine Auseinandersetzung mit den großen Themen unseres Seins visualisieren.
Die Serie beginnt mit zwei großen, stilisierten Köpfen, die uns frontal gegenüberstehen und so in Beziehung mit uns als Betrachter treten. »Wir sind die gelben Leute mit schwarzen Haaren«, sagt die japanische Künstlerin und zeigt ein gelbes Gesicht, in dem es keine ausgeführten Gesichtszüge gibt, lediglich Augen. Daneben ein weiterer Kopf in Rosa, diesmal ohne Augen, aber mit vielen Gedanken im Kopf. Mit der Hand arbeiten und Nachdenken, das bestimme ihr Leben sagt Nobuko – ihre Bilder zeugen davon. Ebensogut könnte der Kopf aber auch eine Blüte sein, und so zieht sie häufig Parallelen zum Reich der Pflanzen. Die an Fliegenpilze erinnernden Gedanken habe sie in einem Kinderbuch entdeckt und gedacht, sie seien erfunden. Seitdem taucht das Motiv häufig in ihren Bildern auf, denn sie ist fasziniert von dieser hybriden Kreatur des Pilzes, die nicht Tier und nicht Pflanze ist. Aus dem Pflanzenreich stammen auch die folgenden drei Motive: Blüten, die durch Stängel miteinander verbunden sind, die sie halten und eine Verbindung untereinander schaffen; runde Formen, in drei Farben gedruckt, die durch ein Netz zusammengeführt werden und so zueinanderfinden. Immer geht es dabei um das Individuum und die Gruppe, Nähe und Distanz, Verbindung und Kommunikation. Und schließlich drei riesige Samenkapseln in kontrastreichen Farben, der Beginn des Lebens.
In der japanischen Kultur existiert eine Vorliebe für ungerade Zahlen. Insbesondere bei der Gestaltung mit Pflanzen gilt sie als glückbringend. Die gerade Zahl ist in Watabikis Bildern nur dann präsent, wenn es sich um die erste Mehrzahl, die Zwei handelt. So zeigt das letzte Motiv der Serie zwei blaue Planeten mit jeweils einem roten Haus darauf. Eine Hommage an Der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry, der von einem Planeten kommt, der kaum größer ist als ein Haus. Trifft der Kleine Prinz auf seiner Reise immer wieder auf Menschen, die nur mit sich selbst beschäftigt sind und alleine leben, sehen wir in dem Bild von Nobuko Watabiki zwei Häuser. Es sind ihre »Herzplätze«, die auf die Bedeutung von Familie, Freunden und Nachbarschaft verweisen.
Ausgeführt sind die Arbeiten der Künstlerin im Holzdruck. Speziell diese Drucktechnik hat Nobuko Watabiki in ihrem Heimatland Japan erlernt. Das Schneiden von großen Formen ins Holz kommt ihrer flächigen Formensprache, die sich in ihrer Malerei findet, entgegen. Daran, dass in Deutschland vorrangig mit Ölfarbe gedruckt wird, habe sie sich erst gewöhnen müssen und umdenken, sagt die Künstlerin. In Japan wird traditionell mit Wasserfarben gearbeitet. Das ergibt ein vollkommen anderes Druckbild, die Oberfläche ist geschlossen und die Farben wirken transparenter. Die hier mit Ölfarben gedruckten Holzstöcke hingegen zeigen die klassische Struktur der Holzmaserung, die den Bildern eine zusätzliche Ebene verleiht. Watabiki liebt starke Farben und Kontraste, so wie sie sie von den traditionellen japanischen Kimonos kennt. Mit ihren abstrakt anmutenden Köpfen, Blüten, Pflanzen und Häusern verleiht die Künstlerin all jenem Gestalt, was uns als Menschen miteinander verbindet.

Nobuko Watabiki
wurde 1958 in Tokio, Japan, geboren.
2008 kam sie mit einem Stipendium nach Hamburg, wo sie seitdem lebt und arbeitet.