griffelkunst

Jochen Lempert

B-Reihe, 399. Wahl, III. Quartal 2025

399 B1 Wolken 15,8 × 10,8 cm
399 B1 Wolken 15,8 × 10,8 cm
399 B2 Paar 14,5 × 9,4 cm
399 B2 Paar 14,5 × 9,4 cm
399 B3 Tropfen 13,6 × 9,4 cm
399 B3 Tropfen 13,6 × 9,4 cm
399 B4 Akebia 9,2 × 14,4 cm
399 B4 Akebia 9,2 × 14,4 cm
399 B5 Silene 12,5 × 8,8 cm
399 B5 Silene 12,5 × 8,8 cm
399 B6 Hund 8,1 × 12,3 cm
399 B6 Hund 8,1 × 12,3 cm
399 B Mappe
399 B Mappe

Die Uhrzeit ist günstig, das Licht ist gut.

von Stephanie Bunk

Die erste Edition von Jochen Lempert haben wir 2007 verlegt. Damals galt der Hamburger Künstler noch als »Artist’s Artist«, also als Jemand, der vor allem von Kolleginnen und Kollegen hochgeschätzt wird und vielen von ihnen sogar ein Vorbild ist. Seitdem sind fast zwanzig Jahre vergangen. Lempert hat Einzelausstellungen in den wichtigsten Museen und Ausstellungsorten international, darunter das Centre Pompidou in Paris oder dem C/O Berlin.

In seinem Atelier im Künstler*innenhaus Frise im Hamburger Stadtteil Ottensen stapeln sich Kisten voller Photoabzüge im Postkartenformat oder kleiner. Einzelne Stapel bündeln die Ausbeute von Reisen, andere das Ergebnis eines einzelnen Tages. Der studierte Biologe photographiert, was er sieht: Details einer Pflanze, einen Vogelschwarm am Himmel, eine Spiegelung im Wasser, einen Fuß, Wasserläufer. Viele Motive erkenne ich erst auf Nachfrage: ein Blick aus dem Atelierfenster am Abend, gefrorene Wellen, Glühwürmchen, die wie Augenpaare an einem Flussufer aufleuchten. Die Haptik seiner Abzüge ist besonders. Man darf sie anfassen, mit ihnen arbeiten, sie in Reihenfolgen und Ordnungen bringen, an der Wand oder auf dem Tisch. Während ich die Photos Stapel für Stapel durchgehe und sortiere, spielt Lempert auf der Gitarre. Wonach genau suche ich? Wie geht eine Lempert- Serie, wie er sie in Büchern oder Museen zeigt? Alles hat auf einmal mit allem zu tun, ein Kosmos aus Bildern. Sie folgen keiner bestehenden Ordnung, keinem Lehrbuch für Biologie. Das ist auch überhaupt nicht das Interesse des Künstlers. Es liegt nicht im Großen und Ganzen, sondern im Kleinen. Er lenkt den Blick auf Übersehenes, indem er es mit der Kamera (auf)sammelt und es später mit neuer Bedeutung aufgeladen wieder auftauchen lässt.

Die Auswahl für die griffelkunst beginnt mit dem Stiel einer einzelnen Pflanze, einer Akebia. In der kontrastreichen Photographie tritt ihre besondere Form deutlich zu Tage. Dieser Schwung des Stiels kann als Verbindung der sechs Motive gelesen werden. Man findet ihn wieder bei anderen Blumen, der Form eines Tropfens, in der Landschaft und bei einem Hund. Jochen Lempert, der seine mit einer analogen Kamera entstandenen Negative sonst selbst abzieht und vergrößert, hat die Arbeit in der Dunkelkammer für unsere Edition an Kira Enss vom Butzlab-Fotolabor in Hamburg abgegeben. Gemeinsam haben sie an den Abzügen gearbeitet, bis sie den Vorgaben des Künstlers entsprachen, der eine ganz eigene photographische Ästhetik entwickelt hat. Die sechs Photographien entsprechen in Größe und Material den Abzügen in den Schachteln in Lemperts Atelier. Sie geben uns die Gelegenheit, mit ihnen weiterzuarbeiten und sie nach Belieben anzuordnen: Kombinationen auszuprobieren, Bezüge herzustellen und die eigene Aktivität des Sehens zu erleben – so, wie ich es bei meinem Atelierbesuch tun durfte. Nachdem ich in vielen Kisten gestöbert, unzählige Photos gesehen und das eine oder andere herausgelegt habe, begleitet mich Jochen Lempert hinaus in den Hinterhof des Künstlerhauses. Er hat seine Kamera dabei. An der Hauswand unterm Dach nisten Mauersegler. Die Uhrzeit ist günstig, das Licht ist gut.

B-REIHE, 327. WAHL, III. QUARTAL 2007
Kleine Feuer, 2007
Schwarzweiß-Photographien
30,0 x 23,0 cm

1. Kleine Feuer 1
2. Kleine Feuer 2
3. Kleine Feuer 3
4. Kleine Feuer 4
5. Kleine Feuer 5
6. Kleine Feuer 6

Papierqualität: Ilford Multigrade matt
Hersteller: Larry Lazarus, Hamburg

Feuer

In Jochen Lemperts Photographien verbinden sich zwei gegensätzliche Perspektiven zu einer künstlerischen Strategie: Als studierter Biologe verfolgt er einen wissenschaftlichen, kategorisierenden und vergleichenden Blick, als Künstler macht er sich die strengen Regeln der Naturwissenschaften zu Eigen, um die bestehende Ordnung sichtbar zu machen und sie in Frage zu stellen. Ein zentrales Motiv seiner umfangreichen Sammlung sind Tiere und Pflanzen, die gleichermaßen Gegenstand der Biologie und der Kunst sind und wie der Künstler selbst einräumt, „eigentlich das Letzte, was man noch photographieren könnnte.“ Doch Lempert nimmt gerade die Besetztheit der Naturdarstellungen zum Anlass, um sie umzuwerten und ihnen etwas Neues hinzuzufügen. Nicht das Tier ist der eigentliche Gegenstand seiner Arbeiten, sondern es ist ebenso der Mensch selbst, sein Umgang mit der Natur und den Bildern, die er sich von ihr macht.

Die für die Griffelkunst-Edition entstandenen Photographien haben Porträt-Charakter, doch was sie zeigen, bleibt eher undefiniert und dem Spiel der Assoziation überlassen. Man meint märchenhafte Gestalten und furchteinflößende Symbole erkennen zu können, doch sie befinden sich in einer unaufhaltsamen Metamorphose von einem Bild der Serie in das nächste. Erst am Ende einer langen Assoziationskette mag man an Aufnahmen der verschiedenen Zustände eines Feuers denken, so sehr entfremden die Schwarzweiß-Photographien den Charakter des Elements. Wie bei Photogrammen scheint sich das Licht selbst dem Photopapier eingeschrieben zu haben und das Motiv allein aus Hell-Dunkelkontrasten zu bestehen. Lemperts Bilder wirken eher mythologisierend denn wissenschaftlich, aufklärerisch. Statt verschiedene Zustände eines Feuers und seine verheerende Wirkung zu beschreiben, rufen sie eine Typologie großer Geister wach, die, so der Brauch, das Feuer doch eigentlich vertreiben soll.

Jochen Lempert

Jochen Lempert

1958 geboren in Moers