griffelkunst

Charlotte Bonjour

C-Reihe, 397. Wahl, I. Quartal 2025

397 C1 Weakly Session
397 C1 Weakly Session
397 C2 Overdose
397 C2 Overdose
397 C3 Dérive
397 C3 Dérive
397 C4 Ernste Spiele
397 C4 Ernste Spiele
397 C5 Angel of Obsolescence
397 C5 Angel of Obsolescence
397 C6 Le Penseur
397 C6 Le Penseur
397 C Mappe
397 C Mappe

Cyberträume

von Brigitte Bedei

Haben Sie sich schon mal gefragt, wie sich Ihr Smartphone eigentlich fühlt? Welche Ängste und Sorgen es quälen, bei all der Überforderung durch die überbordende Informationsflut, Vergänglichkeit, Erschöpfung und Einsamkeit?

In ihrer Serie Cyberdreams & Anesthetic Desires lässt Charlotte Bonjour das Smartphone zum Hauptdarsteller ihrer Edition werden. Ihre Bildwelten gewähren einen Blick in das Seelenleben eines Gerätes, das sich in einer Welt zwischen analoger und digitaler Existenz bewegt. Mit zerbrechlicher Psyche liegt es in Weakly Session wöchentlich auf der Couch beim Psychoanalytiker. Überfordert durch die rasante Entwicklung neuer Technologien sitzt es in Le Penseur als nachdenklicher Philosoph auf einem Bücherstapel mit Werken, die kritische Analysen liefern zu Technologie, Digitalisierung und Gesellschaft. Aber auch Klassiker sind darunter, wie George Orwells 1984 oder Mary Shelleys Frankenstein, die sich in ihrem Werk bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Thema Mensch-Maschine beschäftigt hat. In Overdose kommt es zum Äußersten: Reizüberflutung und digitale Abhängigkeit führen zum Kollaps. Dérive bezeichnet in der Philosophie eine spontane, ziellose Bewegung durch eine Stadt, um neue Erfahrungen zu machen und urbane Räume anders wahrzunehmen – hier ist es eher das stumpfe Scrollen durch digitale Inhalte, ein zielloses Treiben, das schließlich in totaler Erschöpfung und Einsamkeit endet.

Das Motiv Ernste Spiele nimmt das Gaming ins Visier. Eine überdimensionierte Katze bedroht das Phone, die Simulation wird zur Realität. Ein Handy der 1. Generation, ein Technologie-Saurier, greift das Smartphone und trägt es fort – Angel of Obsolescence, ein Symbol für den ständigen Wandel der Technologie durch eine bereits implementierte Verfallszeit.

Die Vermenschlichung des Smartphones ermöglicht es der Künstlerin, die konfliktreiche Verstrickung realer und digitaler Welten auf humorvolle Weise darzustellen. Mit der 3D-Modellierungssoftware Blender erstellt sie die Bildvorlagen für die Träume ihrer Smartphones. So ist die Bild-Ästhetik digital, die Bildproduktion erfolgt jedoch in der analogen Drucktechnik der Aquatinta, die dem Bild durch feine Tonabstufungen etwas Malerisches verleiht. Bonjour greift mediale Entwicklungen auf, indem sie Grenzen zwischen klassischer Druckgraphik und digitaler Bildproduktion auflöst, und geht der Frage nach, wie sich Bilder heute materialisieren.

Die in Berlin lebende Künstlerin hat Photographie studiert, beschäftigt sich jedoch weniger mit der Produktion von Bildern, als vielmehr mit der Dekonstruktion des photographischen Apparates selbst. In ihrer Arbeit hinterfragt sie die Funktionsweisen, Bedingungen und Grenzen des Mediums Photographie. So konstruiert sie eigene Kameras oder manipuliert Scanner, um diffuse Bilder zu generieren, die sie im C-Print produziert. In diese surreale Umgebung setzt sie ihr Smartphone und bewegt sich so in einem dichten Gewebe von alten und neuen Technologien, die sie nicht nur formal aufeinanderprallen lässt, sondern auch inhaltlich reflektiert. Ihre Werke zeigen Technik als lebendig und verletzlich, wodurch sie einerseits humorvoll wirken, andererseits aber auch Kritik an der digitalen Welt und technologischen Abhängigkeiten formulieren.

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Charlotte Bonjour

1987 geboren in Montreux, Schweiz,
lebt und arbeitet in Berlin