Projekt-Reihe
379./380. Wahl
III./IV. Quartal 2020
Multiple aus Keramik,
handgefertigt, mehrfach glasiert und gebrannt
Karriolen
P71 Karriolen Nº1, ca. 24 × 4 × 5,5 cm
P72 Karriolen Nº2, ca. 12,5 × 12,5 × 6 cm
P73 Karriolen Nº3, ca. 11 × 8 × 11 cm
P74 Karriolen Nº4, ca. 26 × 4 × 8 cm
P75 Karriolen Nº5, ca. 20 × 4 × 13 cm
Die Objekte sind sowohl einzeln als auch im Set
mit Zertifikat in einer Schachtel verpackt.
Wir behalten uns vor, die Objekte direkt zu versenden.
Hersteller: Suse Bauer in Kooperation mit Anna Mieves und Till Richter
Sammlung Walther, Hamburg)
Die Gurke zwischen Abstraktion und Allgegenwart
griffelkunst: In der Regel fertigst du alle deine Werke selbst und arbeitest dich intensiv in die verschiedenen Techniken ein. Auch das Experiment und das Ausprobieren scheinen mir für dein Vorgehen charakteristisch zu sein. Wie ist es dir gelungen oder dabei ergangen, so viele Gurken am Stück zu produzieren?
Suse Bauer: Da meine Arbeit beim Machen entsteht, war es schlüssig, auch die Produktion zu übernehmen. Jede Gurke ist handgeformt und einzigartig. Die Gurken beschreiben eine Reihe verschiedener Momente – individuelle Formen, die zusammen eine Gruppe ergeben, Bewegungsbilder. Sie ergeben sich je aus einem aus den Bewegungsformen der Natur abgeleiteten Zustand. Die Serie besteht aus fünf verschiedenen Zuständen, das macht 500 Stück allein für die Vorauflage. Wir haben extra eine Gurkenpresse dafür gebaut. Die Arbeit in der Gurkenfabrik hat uns völlig eingenommen, wir haben sie täglich betreut: gepresst, in Gipsbetten gelegt, umgedreht, mit Zeitung zugedeckt, belüftet und getrocknet. Danach gebrannt, getaucht, geschliffen und erneut gebrannt, beschriftet und verpackt.
griffelkunst: Neben der Form spielt auch das Material in deiner Arbeit eine zentrale Rolle, du drückst dich in den verschiedensten Techniken und Materialien aus. Auch Handarbeit ist ein wichtiger Aspekt für dich. Keramik ist ein Material, das du in vielen Werken verwendest. Du formst daraus mehrteilige, großformatige Wandreliefs, modellierte und eingescannte Landschaften und konkrete Gegenstände. Wie hast du zu diesem Material gefunden und was macht es für dich aus?
Suse Bauer: Vor vielen Jahren bekam ich einen Weckmann oder Stutenkerl geschenkt. Das ist ein lokales Gebildebrötchen, ein Hefeteigmännchen mit Rosinenaugen. Ich arbeitete damals für eine Theaterplastikfirma und klebte in Papenburg Hartgipspalmen auf dem Wellnessdeck eines Kreuzfahrtschiffes fest. In meinem Kopf verband sich Teig und Ton, backen und brennen: ich dachte an die Figur des handgeformten Golem, sumerische Schrifttafeln und Fladenbrote. Frischer Ton ist ein unmittelbares Material, um Ideen Form zu geben – ein Prozess ähnlich dem Zeichnen. Im ungebrannten Ton steckt die Skizze, die Idee und die Vorstellung davon, was möglich ist, was sein wird. Frischer Ton ist formbar und immer im Werden, alles kann wieder zerstört und in den Urzustand zurückgeführt werden. Erst der Brand ist die Festlegung der Form – das Backen zu Stein.
griffelkunst: Du verbindest in deinen Arbeiten historisch aufgeladene Formen, die zum Beispiel an die Ästhetik der Moderne erinnern, mit alltäglichen, gegenwärtigen Dingen wie Nudeln, Kartoffeln und eben auch Gurken. Abstrakte Formen treffen auf konkrete Dinglichkeit, was interessiert dich an diesem Gegensatz?
Suse Bauer: Beides gehört zusammen, denn jede Abstraktion ist auch Teil von etwas Konkretem. Grundsätzlich interessieren mich Materialisierungen von Zukunftsvorstellungen – vom Bild bis zur städtebaulichen Idee – , und besonders die Konstruktion von Gesellschaft und Gemeinschaft darin. Die Aufgabe ist, sich aus dem Bestehenden zu erschließen was möglich ist, also die dem Menschen innewohnenden Möglichkeiten (zur Erschaffung einer besseren Welt) zu erkennen und dem Raum zu geben, was sein könnte. Nudel, Gurke oder Kartoffel sind untrennbar verbunden mit kreatürlicher Lebenspraxis: Alle bewegen sich im Wissen um die eigenen Unzulänglichkeiten zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dabei geht es mir vor allem um eine Bewegungs- und Bewusstseinsform. Es gibt diesen Gedanken an Monaden, kleine Einheiten von Sein und Substanz, die sich vergegenständlichen, sich winden und unkontrolliert bewegen. Jede ist eine Welt für sich, zusammen darin Gurke zu sein, aber gefangen im Verlorensein…
griffelkunst: Kannst du Gurken überhaupt noch sehen?
Suse Bauer: Ja, sie sind allgegenwärtig.
Das Interview führte Stephanie Bunk im Februar 2020.
Suse Bauer
1979 geboren in Erfurt, lebt und arbeitet in Hamburg. 2006 Abschluss des Studiums an der Hamburg University of Applied Sciences. 2016 erhielt sie das Hamburger Arbeitsstipendium. 2019 war sie Artist in Residence im Kibbutz Kabri in Israel.
Ausstellungen
2019 #haah25, Galerie Hammelehle und Ahrens, Köln
2018 Der Abgrund unter mir heißt Zukunft, Galerie im Marstall, Ahrensburg (E)
Further Thoughts on Earthy Materials, Kunsthaus Hamburg;
2015 Lazy Poet Read A Book, Galerie Conradi, Hamburg (E)