Ausmalung einer zerstörten Heimat
von Brigitte Bedei
Lada Nakonechna thematisiert in ihren Arbeiten die politische Situation in ihrer Heimat. Die Künstlerin lebt in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, einem Land, das sich seit Jahren im Ausnahmezustand befindet. Streiks, Proteste und die Auseinandersetzungen zwischen westlich orientierten und prorussischen Lagern münden schließlich 2013/14 in die Massenproteste auf dem Maidan, 2014 folgt die Annexion der Krim durch Russland. Der andauernde Krieg im Osten des Landes und zuletzt der Konflikt im Schwarzen Meer markieren die angespannte Situation in der Ukraine. Misstrauen, Verschwörungstheorien und gegenseitige Schuldzuweisungen prägen das gesellschaftliche Klima. Der Unterschied zwischen Information und Propaganda hat sich längst aufgelöst, sodass Nakonechna erklärt, man könne »visuellen Informationen nicht mehr länger trauen. Der Realitätsgehalt jedes Bildes, jeder Aktion muss angezweifelt werden.«
Mit ihren Zeichnungen, Video-Arbeiten und Installationen reagiert die Künstlerin auf die Verhältnisse in ihrem Land. Dabei dienen Nakonechna häufig Reportage-Photographien, mit denen wir täglich in den Medien konfrontiert werden, als Ausgangsmaterial für ihre Werke.
2017 verbringt Lada Nakonechna auf Einladung der griffelkunst vier Wochen in der Druckwerkstatt von Ellen Sturm-Loeding in Hamburg. Hier arbeitet sie vorwiegend in der Technik der Lithographie und zeichnet ihre Architektur- und Landschafs-Motive direkt auf den Lithostein. Aus einer Reihe von hier entstandenen Arbeiten haben wir zwei Motive ausgewählt, die sich zum einen mit der Situation im Heimatland der Künstlerin beschäftigen, zum anderen dem Ansatz der Künstlerin Rechnung tragen, den passiven Betrachter zu aktivieren.
Die beiden Arbeiten Corpus und Carcass zeigen die Umrisse zweier Gebäudekompexe. Auf den Bildern sind die »Kadaver« der Konstruktionen zu sehen, die von den Bombenangriffen 2014 im Osten der Ukraine übrig geblieben sind. Auf den ersten Blick beeindrucken die Architekturzeichnungen durch die filigrane und detailgenaue Darstellung. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir die zerbombten Häuser und nehmen das Dialogfenster wahr, in dem die Häuser jeweils erscheinen, sodass die Bilder einer Internetseite ähneln. Ein Verweis darauf, woher die Bilder stammen und wie sie verbreitet werden.
Die abgebildeten Ruinen sind Vorschläge für die Ausmalung mit Buntstiften. Ein von der Künstlerin ausgeführtes Farbbeispiel liegt dem Magazin als Postkarte bei.
Ausmalbilder aus Malbüchern kennen wir alle seit unserer Kindheit. Das Motiv ist vorgegeben, nur die Farben können frei gewählt werden. Ein Akt, der einen Denkprozess in Gang setzt – und mit dem die Künstlerin den Betrachter physisch ins Bild zieht. Die Lithographie bietet Lada Nakonechna die Möglichkeit, eine große Anzahl von Drucken zu produzieren, für die vielen Versuche des Ausmalens. Aber keine dieser kreativen Arbeiten, auch nicht ihre eigene, wird das Wesentliche der Zerstörung berühren oder die Situation verbessern, die in der Ukraine durch das Kriegsverhalten herrscht. Die Ausmalung bleibt eine dekorative Geste. Dadurch reflektiert die Künstlerin auch die Grenzen und Möglichkeiten, durch die Kunst politisch wirksam zu werden und Zustände zu ändern.
Diese Edition erscheint in unlimitierter Auflage und kann ausnahmsweise so häufig bestellt werden, wie gewünscht. Sie ist ein »Denk Mal« gegen den Krieg.
Lada Nakonechna
1981 geboren in Dnipropetrovsk, Ukraine
lebt arbeitet in Kiew, Ukraine
1996–2000 Dnipropetrovsk State Art College
2000–2006 National Academy of Fine Art and Architecture, Kiew, Ukraine
2006–2009 National Academy of Fine Art and Architecture, Post graduate course, Kiew, Ukraine
Lada Nakonechna hat mehrere interdisziplinäre Künstler*innengruppen mitbegründet und an zahlreichen internationalen Ausstellungen teilgenommen, u.a. Museum für zeitgenössische Kunst Zagreb, Kroatien (2018); Museum für Moderne Kunst, Warschau, Polen (2015); Galerie EIGEN + ART, Leipzig/Berlin (E, 2018, 2016, 2014, 2012); Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig (2015); Kunstmuseum Wolfsburg (2015)