Einzelblätter
Siebdruck auf digitalem Offsetdruck
E 563
I will never be a Cowboy
70,0 × 50,0 cm
Siebdruck
E 564
Siniolchu (6891 m.ü.NHN.)
70,0 × 50,0 cm
E 563
Papierqualität: 170 g/qm Munken Polar
Graphische Umsetzung: Studio Kike Molares
Drucker: Mediadruckwerk, Hamburg und
1 x 2 Siebdruck, Martin Samuel, Berlin
E 564
Papierqualität: 170 g/qm Munken Lynx
Drucker: 1 x 2 Siebdruck, Martin Samuel, Berlin
Der eigene Klang
griffelkunst: Cyrill, deine beiden Einzelblätter haben autobiographischen Charakter. Eines geht zurück auf eine Abbildung des Bergs Siniolchu, die du in einem alten Bildband deines Großvaters gefunden hast. Welche Rolle spielt dein Großvater dabei für dich?
Cyrill Lachauer: Vor wenigen Jahren sagte mein Vater einmal völlig unvermittelt, als wir mit einem Glas Whiskey auf seiner Terrasse bei Rosenheim saßen: den Opa, den haben ja eh nur die Berge interessiert. In den Augen meines Vaters lag so viel Traurigkeit und ich sah plötzlich dieses Leben des Großvaters vor mir, den Krieg, die emotionale Härte, das Nicht-Ausreichen, das Scheitern an den Bedürfnissen der Familie, am Zwang, hineinpassen zu müssen. Und dann überträgt sich die ganze Liebe, die ganze Sehnsucht und Freude und Traurigkeit, die man in sich trägt, auf die Berge, auf Felswände und vereiste Flanken, steile Grate und Verschneidungen. Plötzlich ist da Luft. Mein Großvater hatte in meiner Erinnerung eine Zartheit, der er vielleicht nur die Schroffheit der Berge entgegen setzen konnte, um nicht zu zerbrechen.
griffelkunst: Das Reisen und die subjektive Erfahrung von Landschaft sind für deine Arbeit zentral. Du greifst in dem Bergmotiv die von dir selbst entwickelte Farbscala auf, nach der du Höhenmeter kartographierst. Hast du den Berg dafür bestiegen, also sozusagen erobert?
Cyrill Lachauer: Das Bild des Siniolchu ist ein Traumbild, denn mein Großvater hat die Alpen nie verlassen. Gleichzeitig ist das Bild ein Zeugnis genau dieses faschistischen Eroberungsdenkens: Himalaya-Expedition 1936 – unbeugsamer Wille, Mut, Opferfreudigkeit, Stolz, Heldentum und Kameradschaft. Besteigen hat für mich aber nichts mit Erobern zu tun, eher mit Zuhören. Diesen Berg habe ich, obwohl ich zweimal im Himalaya war, nicht bestiegen. Mich reizen die puren Felswände ohne ermüdendes Stapfen durch hüfthohen Schnee – eher der quälende Tanz als die andauernde Qual.
griffelkunst: Das andere Einzelblatt zeigt eine Reihe von fast nur Männern, die dein Aufwachsen maßgeblich beeinflusst haben. Wie bist du bei der Auswahl vorgegangen? Schlummerte sie schon in einem alten Schuhkarton oder musstest du tief in deiner Erinnerung kramen?
Cyrill Lachauer: Komischerweise waren sie mir alle so präsent, dass ich gar nicht lange kramen musste. Was erschreckend am Prozess des Zusammenstellens und Erinnerns war, ist vielmehr die Erkenntnis, dass ich vor allen Dingen mit weißen Männern aufgewachsen bin. Ich bin immer und immer wieder meine Schallplatten und CDs durchgegangen, an meinen Bücherregalen auf und ab gelaufen, hab in alten Kletter-, Surf- und Skatemagazinen geblättert, aber es blieb dabei: überall viele, viele weiße Männer. Kurt Cobain und Jack Kerouac, Beastie Boys und Reinhard Karl, Cormac McCarthy und Rüdiger Nehberg, Werner Herzog und MacGyver, Bob Ross und Henri Michaux, das ist schon eine spezielle Welt, die da zusammenkam.
Es geht mir in der Arbeit um einen bestimmten, eigenen Klang, den man im Heranwachsen durch ein persönliches Mischen allgemeinzugänglicher und exemplarischer Charaktere erzeugt. Und das schwingt dann ein Leben lang mit.
griffelkunst: Das Blatt trägt den Schriftzug und den Titel I will never be a Cowboy. Welche Bedeutung spielt die Figur des Cowboys für dich?
Cyrill Lachauer: »The rambling man« ist ein Mythos, eine traurige Figur, gefangen in Selbstlügen. Er zieht durch das weite Land, frei, ungebunden, kommt nie an. Hier und da trifft er auf die Liebe, die er aber bald wieder verlässt und die ihm nachweint. Auch er ist traurig, aber die Weite ruft. Und er vergisst schnell. In einer meiner letzten Arbeiten – Sunken Cities, Floating Skies – heißt es: the rambling men are falling. Die Zeit hat sie entmystifiziert, und wie der Cowboy, der ja auch zu dieser Gruppe gehört, sind sie Jungs, die keine Männer werden wollen. Jungs mit schönem Spielzeug, starkem Auftreten und vielen Ängsten, die tief unter teurem Leder vergraben liegen. Es steckt ja im Grunde schon im Namen: Cow-Boy. Dies zu erkennen ist wichtiger Teil meiner persönlichen Entwicklung.
Das Interview führte Stephanie Bunk im Februar 2020.
C-Reihe / 361. Wahl I. Quartal 2016
Heliogravüren
49,0 x 39,2 cm / 46,0 x 36,0 cm
-3,54 m.u.NHN. bis 2962 m.ü.NHN.
1. Nauendorf-Sachsenbande -3,54 m.u.NHN.
2. Wilseder Berg 169,2 m.ü.NHN.
3. Brocken 1141,2 m.ü.NHN.
4. Fichtelberg 1214,79 m.ü.NHN.
5. Großer Arber 1455,5 m.ü.NHN.
6. Zugspitze 2962 m.ü.NHN.
Papierqualität: 300 g/qm Zerkall Bütten Alt Mainz
Drucker: Kunst- und Radierwerkstatt W. Jesse, Inh. M. und E. Jäger, Berlin
Nach der Vermessung der Welt
von Stephanie Bunk
Cyrill Lachauer ist Künstler, hat aber auch eine wissenschaftliche Ausbildung als Ethnologe absolviert. Er untersucht die impliziten Erzählungen von Landschaften, Orten und Räumen und setzt dafür diverse Mittel ein – Film, Photographie, Text, Installation und Klang. Der Künstler thematisiert mit seiner Arbeit die Erfassung und Vermessung der Welt, die aufs Engste mit ihrer kolonialen Eroberung und Ausbeutung verbunden ist. Dabei macht er einerseits den historischen Prozess der Aneignung sichtbar, indem er ihn wiederholt und aktualisiert. Andererseits erprobt er auf Reisen eigene, subjektive Weisen der Annäherung an das vermeintlich Fremde und hinterfragt Strategien der Repräsentation. Für den aktuellen Werkkomplex Full Service hat Lachauer zwei Jahre im Mittleren Westen der USA verbracht und sich in dem heutigen Amerika auf die Suche nach den Spuren einer kolonialgeschichtlich bedeutsamen indianischen Widerstandsbewegung begeben.
In seiner Edition für die griffelkunst nimmt Cyrill Lachauer eine topographische Erfassung Deutschlands vor, indem er zu sechs Orten von Nord nach Süd reist und dabei der kontinuierlichen Erhebung der Landschaft folgt: angefangen am niedrigsten Punkt in Nauendorf-Sachsenbande mit -3,54 m.u.NHN, weiter zum Wilseder Berg, Brocken, Fichtelberg, Großer Arber und schließlich auf die Zugspitze mit 2962 m.ü.NHN. An jedem dieser Orte zündet der Künstler Rauchpatronen und photographiert in schwarzweiß den sich entwickelnden Rauch, der sich zu Wolken formiert und schließlich auflöst. Für die Griffelkunst-Edition hat er die dabei entstandenen Photographien in farbige Heliogravüren umgesetzt. Obwohl jedem Punkt im Höhensystem eine bestimmte Farbe zugeordnet wird, spielt der spezifische, durch Rauch markierte Ort eine untergeordnete Rolle. Der reale Ortsbezug wird durch den Rauch sogar eher vor den Blicken des Betrachters verborgen und erscheint höchstens ganz im Hintergrund als Horizont oder Himmelsstück. Die Plätze bezeichnen vielmehr den physischen Ort, an dem Lachauer den performativen Akt der Vermessung durch das Entfachen des Rauches vornimmt, der zwar wissenschaftlich anmutet, durch die rein subjektive Farbauswahl und durch die absolute Flüchtigkeit des Mediums aber wieder in Frage gestellt wird.
Durch die Verwendung von Rauch kommt neben einem rituellen und mystischen Aspekt auch etwas Bedrohliches in die Bilder. So ist farbiger Rauch auch ganz aktuell ein in den Medien wiederkehrendes Motiv, sei es im Kontext von Kriegs- oder Anschlagsschauplätzen, Demonstrationen oder Fußballspielen. In diesem Zusammenhang wird Rauch oft auch als Platzhalter für etwas (noch) nicht Darstellbares gezeigt, das erst dann sichtbar wird, wenn sich der Rauch wieder verzogen hat und steht damit als Chiffre für besondere Aktualität. Bedrohliches im Schönen aufscheinen und Fremdes vertraut wirken lassen, ist kennzeichnend für die künstlerische Strategie Cyrill Lachauers.
Cyrill Lachauer, 1979 geboren in Rosenheim, lebt und arbeitet in Berlin.
Er studierte Regie und Ethnologie an der HFF und der Ludwig-Maximilians-Universität in München, sowie Bildenden Kunst an der UdK Berlin.
2020 erhält er das Stipendium der Villa Massimo, Rom.
Ab dem 23. 10. 2020 ist die Ausstellung I am not sea, I am not land im Haus der Kunst in München zu sehen.