Griffelkunst-Vereinigung Hamburg e.V.

<p>Ausstellung von Peter Kogler im Kunstraum Seilerstraße ©griffelkunst</p>
<p>Ausstellung von Peter Kogler im Kunstraum Seilerstraße ©griffelkunst</p>
<p>Ausstellung von Peter Kogler im Kunstraum Seilerstraße ©griffelkunst</p>

Ausstellung von Peter Kogler im Kunstraum Seilerstraße ©griffelkunst

<p>Ruth May beim Aufbau der Ausstellung im Kunstraum Seilerstraße, Herbst 2011 ©griffelkunst</p>
<p>Ruth May beim Aufbau der Ausstellung im Kunstraum Seilerstraße, Herbst 2011 ©griffelkunst</p>
<p>Ruth May beim Aufbau der Ausstellung im Kunstraum Seilerstraße, Herbst 2011 ©griffelkunst</p>

Ruth May beim Aufbau der Ausstellung im Kunstraum Seilerstraße, Herbst 2011 ©griffelkunst

<p>Eine Radierung entsteht, Druckwerkstatt der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ©griffelkunst</p>
<p>Eine Radierung entsteht, Druckwerkstatt der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ©griffelkunst</p>
<p>Eine Radierung entsteht, Druckwerkstatt der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ©griffelkunst</p>

Eine Radierung entsteht, Druckwerkstatt der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ©griffelkunst

<p>Drucke von Anja Tchepets entstehen ©griffelkunst</p>
<p>Drucke von Anja Tchepets entstehen ©griffelkunst</p>
<p>Drucke von Anja Tchepets entstehen ©griffelkunst</p>

Drucke von Anja Tchepets entstehen ©griffelkunst

<p>Aufbau Installation Thorsten Brinkmann “Ernie & Se King”, Kunstraum Seilerstraße 2011 ©griffelkunst</p>
<p>Aufbau Installation Thorsten Brinkmann “Ernie & Se King”, Kunstraum Seilerstraße 2011 ©griffelkunst</p>
<p>Aufbau Installation Thorsten Brinkmann “Ernie & Se King”, Kunstraum Seilerstraße 2011 ©griffelkunst</p>

Aufbau Installation Thorsten Brinkmann “Ernie & Se King”, Kunstraum Seilerstraße 2011 ©griffelkunst

Portfolio-Interview Nº2 – Thorsten Brinkmann

Seinen Hund stehen

griffelkunst: Warum hast Du für uns ein Kino als Rauminstallation gebaut?

Thorsten Brinkmann: Es gab zwei Ideen und da war eigentlich nur die Frage, wie ich sie zusammenbringen kann. Erstmal hatte ich die Idee, nur eine Wand- oder eine Eckinstallation zu bauen. Dann wollte ich auf einem Bildschirm auch den Film »Se King« zeigen, weil darin mein Hund Ernie auftaucht und der Film den Anfang von Ernies Photokarriere darstellt. Das beides wollte ich gerne zusammen zeigen. Der Film ist außerdem eine gute Ergänzung zu den Porträts, da er ja diese Herrscherposen persifliert und absurde Posen aufzeigt. Dadurch scheinen die Photos eine andere Bewegung zu kriegen, sie werden lebendiger. Und die Idee zu einem Kino 
hatte ich schon länger. Bei meinem ersten Besuch in der 
griffelkunst dachte ich schon daran, es hier zu bauen, habe die Idee dann aber verworfen, weil es zu aufwendig würde, hohe Decken sind immer viel Arbeit. Aber es hat sich dann aus den Gesprächen und aus der gesamten Raumsituation heraus entwickelt, dass hier ein Kino doch gut möglich ist.

griffelkunst: Du sagtest eben, dass Du den Film auch zeigst, weil darin Ernie zur Kunst kam – wie kam es denn dazu?

TB: Ernie kam dadurch in die Kunst, weil er sich auf einmal ständig bei mir im Atelier aufhielt. Der Hund ist ein Erbstück und zu einem Teil von meinem Leben geworden, dementsprechend lief er dann bei mir im Atelier herum und auch oft durchs Bild. Er lief in den Film rein und hat es sich auf dem Teppich bequem gemacht. Das fand ich dann so wunderbar, dass ich das auch drin gelassen habe. Und so hat sich das entwickelt. Er ist sehr anhänglich und folgt mir auf Schritt 
und Tritt, und ich dachte mir: Wenn ich hier Porträts mache von mir, verkleidet, mit Dingen auf dem Kopf, in irgendwelchen »altmeisterlichen« Posen, dann muss Ernie auch mal 
ran. Das war am Anfang einfach mal aus Spaß und daraus hat sich dann letztlich die Serie für die griffelkunst entwickelt.

griffelkunst: Ernie macht einen geduldigen Eindruck, machte er bereitwillig mit oder bedurfte es irgendwelcher Tricks?

TB: Nein, das ist ganz erstaunlich. Er ist sowieso immer an diesem Ort und kennt ihn gut – ich hatte am Anfang selbst ein bisschen Bedenken und habe mich gefragt, ob das wohl gutgehen würde. Ich denke, es macht ihm auch einfach Spaß, dass man sich mit ihm beschäftigt, denn sonst ist es im Atelier doch relativ langweilig für ihn. Auf einmal gehts um ihn und mit ihm, und er steht da sehr geduldig seinen Hund.

griffelkunst: Das Tier in der Kunst bzw. der Hund in der Kunst ist traditionell ein sehr aufgeladenes Sujet. Hattest Du dazu bestimmte Bilder im Kopf?

TB: Ja, auch. Es ist jetzt nicht so, dass ich mich sehr mit Hundeporträts beschäftigt habe, aber ich weiß, dass der Hund in der Kunstgeschichte ein aufgeladenes Motiv ist. Er steht in der Malerei zum Beispiel für bedingungsloses Vertrauen, der Freund des Menschen, und wird bewusst so in den Bildern eingesetzt. Das wurde dann in der modernen Kunst auch immer wieder aufgegriffen. Das ist mir schon bewusst und ist da auch mit drin, aber es ist nicht so, dass ich darauf abziele. Mir geht es eher um ein Spiel mit dem Bildgedächtnis.

griffelkunst: Haben Deine Ernie-Bilder etwas mit William Wegmans Hundebildern oder anderen zeitgenössischen Darstellungen des »Tieres in der Kunst« zu tun?

TB: Nein. Ich kenne die Wegman-Bilder, aber es ist sicher nicht so, dass ich da was nachstellen wollte. Wegman vermenschlicht seine Hunde, daran bin ich nicht interessiert. Ich gehe da ganz von meinem eigenen Arbeitsfluss aus. Es geht mir eher darum, die Methode, die ich für mich gefunden habe, mit Ernie weiterzuentwickeln und auf ihn zu übertragen. Ich könnte mich sogar mal zusammen mit ihm in ein Bild stellen, das wäre zum Beispiel eine schöne Fortführung – wenn das überhaupt realisierbar ist, denn er läuft mir ja immer hinterher…

griffelkunst: Du legst großen Wert auf stimmige Bildtitel. 
Wie findest Du die wunderbar skurril verdrehten Bezeichnungen für Deine Charaktere und welche Funktion haben sie?

TB: Es gäbe die Möglichkeit – wie Konzeptkünstler – die Bilder zu nummerieren, aber das finde ich unheimlich langweilig, auch wenn ich natürlich verstehe warum sie das machen. Aus der Haltung heraus habe ich immer das Bedürfnis gehabt, den Bildern Titel, spezielle Namen zu geben, die auf das Abgebildete abzielen, es ins Absurde ziehen und wie ein Lautgedicht klingen. Ich bin großer Fan von Kurt Schwitters. Ich wühle dann auch mal in der Kunstgeschichte herum und versuche unterschiedliche Kombinationen. Die Titel entstehen, wie auch die Bilder, collagenhaft.

griffelkunst: Wie muss man sich die Bildentstehung Deiner Porträts vorstellen – gibt es konkrete Pläne, Ideen oder einfach bestimmte Ausgangsmaterialien?

TB: Die Collage ist für mich ein gutes Stichwort. Ich arbeite prozesshaft. Ich habe unglaublich viele Sachen, gesammeltes Zeug in meinem Atelier rumliegen. Für mich ist das wie eine große Spielwiese. Manchmal gibt es bestimmte Vorstellungen oder Versuche, da ziehe ich mir etwas an und setze mir den Helm auf, nehme eine Pose ein mit dem und dem Hintergrund, und ich fange dann schon währenddessen an, das Ganze wieder zu verändern. Ich photographiere digital, sodass ich alles schnell mal angucken und dann andere Variationen ausprobieren kann. Die Porträts entstehen wirklich spielerisch. Der Zufall spielt auch eine große Rolle.

griffelkunst: Obwohl Du immer persönlich vor der Kamera agierst, bleibst Du als erkennbare Person verborgen, man bekommt immer nur eine gespielte Rolle zu sehen. Warum ist Deine Arbeit so stark porträthaft und gleichzeitig bleibst Du ein Phantom?

TB: Das hat sich aus dem körperintensiven Umgang mit den Gegenständen entwickelt und durch meine materialreichen Installationen. Diese ständige Begegnung mit Gegenständen wollte ich irgendwie thematisieren und ins Bild bringen. So entstand dann zum Beispiel das Video »Gut Ding will es so« oder ein Porträt, das »So viel wie möglich auf einmal tragen« heißt. Da bin ich zwar drin, aber nicht mehr zu erkennen. Es gab einfach Arbeiten, die ich unbedingt machen wollte, in denen das Performative eine Rolle spielte, wobei ich selber als Person aber nicht an Bedeutung gewinnen wollte. Die Arbeiten sollten unabhängig von meiner Mimik sein, so dass mein Körper eher als Arbeitsmaterial dient. Es ist sehr oft so, dass die Arbeit untrennbar mit der Künstlerpersönlichkeit verbunden wird. Ich wollte, dass beides unabhängig bleibt und habe deswegen lange daran herumgerätselt, was ein guter Weg wäre. Es ist dann letztlich durchs Spiel entstanden, dass ich zwar auftrete, aber als Person im Hintergrund bleibe. Und dadurch entsteht erst diese Projektionsfläche für den Betrachter, viel mehr, als wenn mein Gesicht sichtbar wäre.

griffelkunst: Deine Bilder sind letztlich eine lange Reihe von Selbstporträts, welche Rolle spielt das Sujet für Dich?

TB: Da gibt es dann auch kunsthistorisch interessante Stränge: Das Selbstporträt spielt in der Malerei eine große Rolle, dessen bin ich mir bewusst, meine Bilder klinken sich in so eine Historie ein. Der Künstler an sich und noch dazu in seinem Atelier ist ja eben auch schon eine mythische Figur bzw. Szenerie, mit meiner Unkenntlichkeit wird auch diese Überhöhung konterkariert. Aber worum es mir eigentlich geht, ist, dass das Signifikante am Porträt, das Gesicht, fehlt. Und die Physiognomie durch die Dinge ersetzt wird. Die Dinge werden Masken und so zum Gesicht selbst. Sie verwandeln sich in Ausdrucksprothesen. Sie werden zu einem Teil des Körpers, auch wenn man sieht, dass der Kopf in den Objekten steckt. Das Schöne ist, dass die Bilder in vielen Kulturen immer wieder anders greifen, weil sie Projektionsflächen sind. Sie werden in Europa ganz anders gelesen als in Amerika oder in den arabischen oder den asiatischen Ländern.

griffelkunst: Kannst Du dafür Beispiele geben?

TB: Die Europäer lesen die Bilder zum Beispiel aus der Perspektive der Renaissance-Malerei. Die Amerikaner sehen darin eher Terror, sie entdecken auch nicht gleich den Humor. Alles, was nicht gleich sichtbar ist, bedeutet Gefahr. Sie finden die Arbeiten gut, aber eben auch beängstigend. Bei den Asiaten geht es dann viel um Gender, um Sex, um Sadomaso-Verhüllungen. In arabischen Ländern ist das Thema Verhüllung – die Burka. Ich wurde mal nach Nigeria eingeladen, dort fühlte man sich bei meinen Arbeiten an die Komplettkostümierungen bei Voodozeremonien erinnert. Über das Formale docken alle verschieden an und das lässt unglaublich viel Projektion zu.

griffelkunst: Kommen wir noch einmal auf das Altmeisterliche in Deinen Bildern zurück, denn darin liegt ja auch ein Akt der Täuschung. Wer Deine Bilder von Weitem sieht, der sieht darin erstmal zum Beispiel einen alten Niederländer. Ist diese Wirkung von Dir beabsichtigt oder entsteht sie während des Machens der Bilder?

TB: Dieser Effekt ist gewachsen. Das hat auch etwas mit der Lichtsituation in meinem Atelier zu tun, bzw. überhaupt mit meiner Arbeitsweise. Das habe ich mir irgendwann mal auf die Fahnen geschrieben, dass meine Arbeitsweise so einfach wie möglich sein soll: Ich arbeite immer mit Tageslicht, nie mit Kunstlicht. Von der Technik her sind das Sachen, die jeder machen kann, mit einer einfachen Digitalkamera und Gegenständen, die man auf dem Sperrmüll oder Flohmarkt finden kann. Aus diesem Blickwinkel ist es kein handwerkliches Meisterstück, für mich ist das auch ein Stück weit ein demokratisches Verfahren. Seit meinem Studium habe ich immer viel mit Malerei zu tun gehabt. Bei Bernhard Blume in Hamburg ging es fortwährend um einen malerischen Diskurs, auch wenn dort kaum jemand mit Ölfarbe gearbeitet hat, sondern mit dem Computer, mit Skulpturen, Installationen oder Photographie. Es ist immer Malerei mit anderen Medien gewesen, und da sehe ich mich auch, es ist Malerei mit photographischen Mitteln. Dabei spielen der gesamte Bildaufbau, die Gegenstände, das Licht, die Farben, der Kontrast und der Bildausschnitt eine wesentliche Rolle.

griffelkunst: Woher beziehst Du das Material, das Du in Deinen Bildern verwendest, und nach welchen Kriterien wählst Du es aus? Sind Dir die Gebrauchspuren wichtig?

TB: Ich gehe zum Beispiel zum Roten-Kreuz, in Kilo-Shops oder ich kriege die Sachen geschenkt. Außerdem eben vom Sperrmüll und von Flohmärkten. Es gibt auch so etwas wie eine »Altersgrenze«, man muss aufpassen, dass es nicht zu modisch wird, sonst bist Du zu schnell in einer Fashion-Ecke. Ganz vieles fällt bei zu neuen Dingen raus, da sich die Zeit darin noch nicht zeigt, und dann funktioniert es nicht. Die Gebrauchsspuren bei benutzten Dingen haben zusätzlich einen malerischen Charakter, Spuren und Fehler, wie in Gemälden. Sie sind lebendiger und erzählerischer, weil sie eben schon ein Leben durchschritten haben und das zeigt sich an Ihnen. Außerdem sind die Sachen entweder umsonst oder eben sehr günstig zu bekommen.

griffelkunst: Du bist in den Darstellungen nicht nur vermeintlich männlicher sondern auch zuweilen weiblicher Protagonist bzw. Protagonistin, wonach richtet sich diese Travestie und wäre es nicht einfacher, gleich eine Frau in die Verkleidung zu stecken?

TB: Wenn ich mir meine Arbeiten anschaue, dann waren meine ersten Figuren männlich, die weiblichen kamen erst später als Ergänzung hinzu. Ich habe auch mal eine Venus gemacht, denn ich dachte mir, wenn man sich schon mit Kunstgeschichte beschäftigt, muss auch mal eine Venus sein. Die weiblichen Figuren geben für mich viel her, da kann man wunderbar dekorieren, da kann man noch viel mehr Zeug dran hängen. Die männlichen sind reduzierter. Es ist erstaunlich wie sehr sich ein Charakter nur durch ein Accessoire verändern lässt.

griffelkunst: Wären »Modelle« für Dich denn denkbar?

TB: Also, ich denke nein. Wenn das jemand anders macht, dann ist der Witz raus. Es geht eben schon darum, dass der vermeintlich mythologisierte Künstler, inzwischen unsichtbar über Jahre, mit seinem Zeug in seinem Atelier bestimmte Genres durchspielt wie Stillleben, Skulptur und sich dann auch noch kostümiert, und – weiblich und männlich – eine Personenreihe entwickelt. Diese absurde Daseinsform gefällt mir sehr. Ich kann mir durchaus vorstellen, meine Familie mit einzubeziehen, weil das Familienporträt auch ein Genre wäre. Oder mit Pferden zu arbeiten, aber auch nur, weil ich viel mit Pferden zu tun habe, denn meine Tochter und meine Freundin reiten. Also recht naheliegende Angelegenheiten. Das geht für mich nur aus der Perspektive des Künstlers 
heraus, der allein in seinem Atelier ist und wartet, was da so passiert.

griffelkunst: Deine Arbeiten spielen auf einem feinen Grat zwischen scheinbarer totaler Verballhornung und gleichzeitiger ernsthafter, würdevoller Darstellung. Würdest Du sagen, dass die alten Bildgattungen heute noch funktionieren?

TB: Man kann sich fragen, ob man die klassischen Gattungen weiterentwickeln und ob man dem heute etwas Interessantes hinzufügen kann. Es gibt da durchaus verschiedene Ansätze, um das Porträt weiter zu verwenden oder neu zu beleben. Das Porträt ist immer interessant, weil man da ein Gegenüber hat. Das war mir selbst am Anfang nicht so klar, aber die Figur ist wie ein Spiegel, und so funktionieren auch die Porträts ganz stark, weil sie eine Projektionsfläche bieten und sehr viel über denjenigen aussagen, der sie sich anschaut. Die kunsthistorischen Sujets interessieren mich überhaupt sehr, zum Beispiel das Stillleben. In der Kunst bezeichnet man es auch als die »niederste Gattung«, ich finde aber, sie sind wesentlich schwieriger zu machen als meine Porträts. Mit diesen vermeintlich wertlosen Gegenständen muss im Bild eine Umwertung geschehen, damit sie einen wirklich angehen. Der Sockel ist auch so ein Thema, zu dem ich eine ganze Serie gemacht habe. Es gibt da immer wieder Ansätze, etablierte Sujets zu hinterfragen und zu gucken, wie man das mit einfachen Mitteln unter die Lupe nehmen kann.

griffelkunst: Der Sockel ist eine Präsentationsform, und das ist ja auch ein großes Thema für Dich, das Du auch mit dieser Installation aufgreifst. Warum werden Deine Einzelwerke immer von Dir selbst gerahmt oder gesockelt?

TB: Bei den Porträts wollte ich vor allem auch das Material mit in der Arbeit haben. Das ist für mich etwas problematisch an der Photographie, ich vermisse darin so eine Art »Realstoff«, weil ein Gegenstand oder ein Material eine Realität hat, die ein Bild nicht hat. Oft baue ich auch Räume für die Bilder, weil mir der White-Cube als Garant für Bedeutung oder gar Kunst immer verdächtig war. Ich habe immer hinterfragt, ob, sobald ein Objekt in einem Raum ist, das künstlerisch irgendetwas bedeutet, ob ›Kunst‹ allein durch Rahmenbedingungen stattfindet. Aufgrund dessen habe ich versucht, Räume zu bearbeiten und intensiv Material einzuarbeiten.

griffelkunst: Auch darin zeigt sich Deine Nähe zu Kurt Schwitters, in der Vernetzung von Raum und Kunstwerk.

TB: Das, wo es herkommt, soll auch mit da sein: Tische, Teppiche, Holzverzierungen oder wie da oben Holzpaneele – das sind alles Elemente, die ich durchaus auch in meinen Bildern als Hintergrund verwende. Wie zum Beispiel der Teppich vom Kino, der taucht dann in anderen Porträts als Hintergrund wieder auf. Das, was sich in den Bildern zeigt, soll in der Realität auch da sein. Auch der Geruch oder die Stimmung verändern sich durch das Material. Das lässt sich auf einem Bild nur bedingt vermitteln. Man kann schon so einen Eindruck kriegen, aber wenn man real in einem Raum ist – das ist dann immer etwas ganz anderes. Da sind alle Sinne ganz anders beschäftigt.

griffelkunst: In den Bildern und Skulpturen bist Du zwar immer präsent, aber nie erkennbar, in den Filmen agierst Du als Performer, aber ebenfalls maskiert. Siehst Du Dich in 
der Performance-Tradition seit den sechziger Jahren oder wie würdest Du Deine Arbeitsform beschreiben?

TB: Ich habe noch nie eine Live-Performance gemacht, obwohl ich schon mehrfach gefragt wurde. Vielleicht mache ich das irgendwann mal. Aber bisher habe ich keinen Anlass dazu gesehen. Die Filme entstehen immer aus der Arbeit heraus, das wächst alles aus der Beobachtung dessen, was im Atelier passiert, was ich während meiner Arbeit so mache: Diese Vollporträts sind eigentlich beim Machen am lustigsten, weil man sich so beeilen muss. Da es Selbstporträts sind, habe ich durch den Selbstauslöser immer nur zehn Sekunden Zeit, um die Pose einzunehmen – Tempo! Und dann steht man irgendwie total quer da, oder liegt und es fällt was runter – daraus hat sich dann wiederum dieser Film entwickelt. Beim Erzählen habe ich erst gemerkt, wie beknackt das manchmal ist, welche Absurditäten dabei passieren, und das will ich mit dem Film transportieren.

griffelkunst: Wie genau planst Du den Ablauf, denn während des Filmens kannst Du Dich ja nicht kontrollieren? Gibt es ein Drehbuch oder ein Skript? Wie viele Probedurchläufe oder Versuche gab es, bis »Se King« fertig war?

TB: Es gibt kein Skizzenbuch, aber ich habe das schon öfter gemacht, drei, vier Mal vielleicht. Ich muss dann auch gucken, dass ich lange genug sitze, denn durch die Zeitverschiebung, die darin ist – der Film läuft etwas schneller als er gedreht wurde –, ist das nachher nur ein kurzer Moment und dann wirkt das nicht. Ich wollte, dass der Film bildhaft wirkt. Die Posen haben sich beim Machen entwickelt, bis ich einige zusammen hatte.

griffelkunst: Du kannst Dich während des Films ja nicht kontrollieren. Werden die Filme geschnitten und montiert?

TB: Nein, der Film wurde nicht geschnitten. Das ist ja auch reizvoll, dass man das nicht so kontrollieren kann. Da muss ich bei den Photos sogar manchmal aufpassen, sonst werden sie zu starr. Beim Film kann man das nur bedingt im Griff haben, und das ist auch das Schöne daran, dass, wenn Ernie ins Bild latscht, das Konzept erstmal bricht und dem Ganzen auch eine andere Wendung gibt. Sowas greife ich dann gerne auf, denn man kann sich gar nicht alles so einfallen lassen, man muss beobachten, was da so vorfällt.

griffelkunst: Gibt es etwas, was Dir peinlich wäre in Deinen Filmen, etwas, was Du nicht zeigen würdest? Oder geht 
alles, denn es ist ja anonymisiert?

TB: Eigentlich geht alles. Mir fällt vielleicht nicht alles ein, aber eigentlich ist alles möglich. Es gab eine erste Fassung des Films, da laufe ich noch ohne den Helm rein und dann setze ich mir erst dieses Ding auf, und ab diesem Moment verdreht sich da was. Ich habe überlegt, ob ich diese Verschiebung zeigen sollte. Aber dadurch entstand so eine Konzentration auf mein Gesicht, sodass es auf einmal nur noch darum ging. Also, Gesicht zeigen würde ich momentan weiterhin vermeiden.
Ohne den Helm wärs nur halb so gut. Das finde ich ja inzwischen an den Porträts am interessantesten, wenn diese Dinge so eine Physiognomie bekommen wie etwa der Helm, als wäre da ein Ausdruck im Mülleimer, und auf einmal werden die Gegenstände beseelt und bekommen ein Gesicht.


Thorsten Brinkmann, geboren 1971, lebt und arbeitet in Hamburg.
 Das Interview führte Dirk Dobke in der Griffelkunst-Installation 
»Ernie & Se King« im April 2011.

 

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