Projekt-Reihe
Holzdruck
P94 Tempelhüter
40,0 × 30,0 cm / 30,0 × 21,0 cm
P95 Soft Ruins II
30,0 × 40,0 cm / 21,0 × 30,5 cm
P96 Cityscape
30,0 × 40,0 cm / 20,0 × 30,0 cm
P97 Soft Ruins I
45,0 × 64,0 cm / 42,0 × 64,0 cm
P98 Palmenallee
69,0 × 47,0 cm / 64,5 × 44,0 cm
P99 Topfpflanze
40,0 × 30,0 cm / 30,0 × 20,0 cm
Material: Filz
Druck: Handdruck Loeding & Sturm, Hamburg
Von Tempelhütern und Topfpflanzen
griffelkunst: Verena, beginnen wir mit deiner Biographie. Neben freier Kunst hast du klassische Philologie an der Universität Hamburg studiert. Wie geht das zusammen?
Verena Issel: Für mich war das Studium eine Möglichkeit, eine schöne Reise mit dem Kopf zu machen. Die beiden Fächer haben sich gegenseitig sehr stark befruchtet. Ich konnte viel Inspiration aus der Antike für meine künstlerische Arbeit holen und das kunstgeschichtliche Wissen wiederum gut für das Philologie-Studium einsetzen. Mein Interesse für die Antike ist bis heute ungebrochen. Man kann diese hoch entwickelten Zivilisationen, die irgendwann zusammenbrachen, sehr gut als Schablone für unsere heutige Zeit sehen. Viele Probleme und Strukturen ähneln sich, deswegen habe ich für die Edition auch einen Tempel produziert! »Soft Ruins« sozusagen.
griffelkunst: Im Winter 2021 haben wir dich eingeladen zu unserem Druckgraphik- Stipendium in die Werkstatt von Ellen Sturm-Loeding. Welche druckgraphische Technik hat dich hier besonders interessiert? Was hast du ausprobiert?
Verena Issel: Ich hatte wirklich die allerbeste Zeit. Ich habe in der Werkstatt gewohnt und war Tag und Nacht am Drucken, es war wie ein Wahn! Ellen und Lars haben mir alles gezeigt von Hochdruck bis Tiefdruck. Ich habe mich besonders in den Holzschnitt verliebt, da man dort viel mit Farbe machen und auch recht schnell Veränderungen in den Ergebnissen erzielen kann. Mich reizt immer das Experiment und dafür eignet sich Holzschnitt perfekt!
griffelkunst: Das Material spielt in deiner Edition eine tragende Rolle. Welches Trägermaterial hast du für deine 2-farbigen Holzdrucke gewählt?
Verena Issel: Für die Edition hat es mich total gereizt, Sachen auszuprobieren, die sonst nicht benutzt werden in der Druckgraphik. Es interessiert mich, wo die Grenze eines Genres oder eines Mediums ist. Ich habe zum Stipendium Filz mitgebracht, weil ich an Filzbildern gearbeitet hatte und dachte, vielleicht langweilt mich das Drucken irgendwann. Dem war nicht so! Stattdessen hatte ich die Idee, dass man den Filz auch bedrucken könnte. Er hat eine ganz besondere Qualität: Filz schluckt das Licht und die Spiegelung, die Drucke sehen extrem matt und satt aus. Das Experiment hat sich wirklich gelohnt, es ist etwas ganz besonderes dabei herausgekommen!
griffelkunst: Wovon erzählen deine Drucke, und in welcher Verbindung stehen die einzelnen Motive zueinander?
Verena Issel: Wenn ich Kunst mache, erschaffe ich immer Objekte, die miteinander in Beziehung stehen. Es sind mehrere einzelne Werke, die miteinander Ping Pong spielen und sich unterhalten, wie in einer Familie. Da gibt es Gespräche, Streit, Gegensätze und Gemeinsamkeiten … Wollen wir uns die Griffelkunst-Familie mal anschauen: Da ist das oben schon genannte Blatt mit einem griechischen Tempel, Soft Ruins I, das verweist auf diese lang vergangene Zeit und ist eigentlich ein Paradox. Ein marmorner harter Tempel mit harter historischer Aufladung auf einem weichen Bogen Filz, es stellt auch unseren Umgang mit Geschichte infrage. Der große Tempel hat einen kleinen Bruder, das ist das gelb-schwarze Blatt, auch das eine softe Ruine: Soft Ruins II. Die gleiche Intention hat das blaue Blatt mit der Figur darauf, das ist eine abgewandelte Zeichnung von einem ägyptischen Tempelhüter. Er bricht allerdings zusammen unter einem Handy, das er auf seinem Rücken trägt. Unsere moderne Zeit hat andere Probleme und andere Herausforderungen. Was gehütet wird, ist nicht mehr ganz so klar. Der ägyptische Tempelhüter wiederum spannt den Bogen zu der ägyptischen Palmenallee, Wandelgang der Philosophen: »yes yes yes« und »no no no«, man muss sich entscheiden zwischen widerstrebenden Philosophien und Gedanken und kann sie mal aus der einen und mal aus der anderen Richtung betrachten. Ebenfalls eine Pflanze, aber domestiziert: die Topfpflanze. Immer wieder merkwürdig, wie aus einem Urwald eine Topfpflanze wird und aus einem Wolf ein Hund. Mich interessieren die Transformationen und Bezüge. Ich hoffe, dass die Topfpflanze mit dem Palmenhain zusammenlebt. Aber sie schaffen es auch allein. Es gibt noch ein weiteres Blatt, das sich mit allen Blättern sehr gut versteht: die fliederfarbene, moderne StadtLandschaft, Cityscape. Sie bildet einerseits das Gegenteil zur antiken Tempel-Welt und andererseits zur Natur.
Verena Issel
1982 geboren in München, lebt und arbeitet in Berlin