C-Reihe / 388. Wahl
IV. Quartal 2022
Ross & Reiter
s/w Photoabzug
1. Rodeo (Rider)
27,5 × 33,5 cm / 25,5 × 31,5 cm
2. Derby (Candidate)
27,5 × 33,9 cm / 25,5 × 31,9 cm
3. Jockey (Reaping Reward)
27,5 × 34,7 cm / 25,5 × 32,7 cm
4. Jockey (Robert Morris)
27,5 × 33,9 cm / 25,5 × 31,9 cm
5. Jockey (Lady Broadcast)
27,5 × 34,4 cm / 25,5 × 32,4 cm
6. Jockey (Viscounty)
27,5 × 33,3 cm / 25,5 × 31,3 cm
Papierqualität: Multigrade Warmton, hochglanz getrocknet
Hersteller: Recom Art Berlin
Hersteller Mappe: Buchbinderei Thomas Zwang, Hamburg
RIVALEN DER RENNBAHN
von Stephanie Bunk
Sebastian Riemer arbeitet mit Agentur und Pressephotographien, die im Zuge der Digitalisierung aussortiert und bei Online-Auktionshäusern zum Verkauf angeboten werden. Es grenzt an ein Wunder, dass diese teilweise 100 Jahre alten Aufnahmen überhaupt so lange in den Archiven überlebt haben, denn es handelt sich um Rohmaterial für Veröffentlichungen in Tageszeitungen. Riemers Interesse gilt dabei Motiven, die retuschiert, also übermalt oder mit Zeichnungen versehen wurden. Sie bilden den Ausgangspunkt der Serie Press Paintings, an der er seit 2013 arbeitet.
Für die Griffelkunst-Edition hat Sebastian Riemer sechs Motive ausgewählt, die Jockeys und andere professionelle Reiter mit ihrem Pferd zeigen. Entstanden sind die Aufnahmen in den 1930er Jahren für die Berichterstattung über Pferderennen, Rodeos oder andere Events rund um den Reitsport. Die Photos dienten als reine Druckvorlagen, und so wurden sie auch behandelt. Was nicht passte, wurde passend gemacht, durch Übermalungen, Verkleinerungen des Ausschnitts, Freistellungslinien und andere manuelle Eingriffe in das Bild. Sprechende Details wurden als störend empfunden und zum Opfer der Retusche, zum Beispiel die Tatsache, dass die Pferde für die Aufnahme von Stallburschen gehalten wurden, die im Gegensatz zum Jockey oftmals eine schwarze Hautfarbe hatten. Die Aufnahmen wurden auf das Wesentliche reduziert, also auf Ross & Reiter, wie auch der Titel der Serie nahelegt. Damit verweist Riemer nicht nur auf die Redewendung, die dazu auffordert, Klartext zu reden und die Namen der Schuldigen oder der Urheber zu nennen. Er erinnert auch an ein zentrales Genre der Malerei. Die Darstellung von Pferden und Reitern hat eine lange Tradition. Vor allem Herrscher ließen sich mit Pferd verewigen und stellten durch diese Form der Repräsentation klar, wer die Zügel in der Hand hält.
In den übermalten Pressephotos prallen nun verschiedene Bildtraditionen und -techniken aufeinander, die man als Rivalen der Rennbahn der Kunst beschreiben kann: Malerei und Photographie. Steffen Siegel schreibt dazu in seinem Text zu den Press Paintings: »Riemers Interesse gilt einem intermedialen Zusammenspiel, das sich zwischen Photographie und Malerei entfaltet, also maschinell wie manuell erzeugte Bilder miteinander in Beziehung setzt.« Dadurch entwickele sich eine Art »offenes Vexierspiel, beides zu gleicher Zeit sein zu können«. Bei der Betrachtung fokussiere man sich entweder auf die malerischen Aspekte der Bilder oder auf die quasi dahinterliegende Photographie. Damit stößt Riemer ein Nachdenken darüber an, was photographische Bilder zu sehen geben und was sie ausblenden, also über den Rahmen der Photographie ganz generell. Auch die Möglichkeiten der Manipulation thematisiert er, und zwar nicht im Sinne eines Betrugs, sondern als Teil des ganz normalen Umgangs mit Photographien im Rahmen einer Bildökonomie, in der diese nicht als Kunstform, sondern für den Gebrauch entstehen. Photos dienen hier als Rohmaterial, das es teilweise mit erheblichem Aufwand zu verfeinern gilt.
Aufwand hat auch Sebastian Riemer, der bei Thomas Ruff an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat, bei der Realisierung der Edition betrieben. Er hat die Abzüge bei Recom Art Berlin auf (fast) die gleiche Art herstellen lassen, wie sie vor 100 Jahren entstanden sind. Neu sind die digitalen Vorstufen, das heißt, die Originalvorlagen wurden gescannt und die so entstandenen Dateien vom Künstler minimal aufbereitet. Von den Dateien wurden großformatige Negative hergestellt, die zur Produktion analoger Abzüge auf Baryt-Photopapier genutzt wurden. Durch die finale Trocknung auf Hochglanz gebracht, liegt das Ergebnis in technischer und optischer Hinsicht dicht an den Vorlagen. Jedoch nicht ganz, denn Riemer hat sich bewusst dafür entschieden, die Motive größer und reduziert auf die Grautöne wiederzugeben. Durch die konzeptionelle Entscheidung, die bearbeiteten und verfärbten Schwarzweiß- Photos wieder in die ursprüngliche Technik zu überführen, in der sie einst entstanden sind, fehlt den Bildern nicht nur der nostalgische Touch. Es werden auch sämtliche Bildbearbeitungen eingeebnet und vom Manuellen ins Photographische überführt. Wie in seinem Gesamtwerk stellt Sebastian Riemer durch dieses hohe Maß an Präzision und durch die Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten die Frage nach der Urheberschaft und der Originalität von Kunst. Er fragt nach Ross und Reiter der Kunstproduktion, die ebenso wie die frühe Pressephotographie Teil einer Bildökonomie ist, in der manche als Gewinner vom Platz gehen und andere auf der Strecke bleiben.
Sebastian Riemer
1982 geboren in Oberhausen,
lebt und arbeitet in Düsseldorf