E 588
Auge um Zahn, 2022
26,8 × 26,8 × 6 cm
Leuchtobjekt
Material: Pigment-Druck auf brilliant matte supreme Papier, Objektrahmen mit integrierten RGB-LEDs, Tusche und Acrylemulsion auf Kunststoffscheibe mit LED Fernbedienung
Produktion: Oliver Ross
Kunst und Brot
Ein Interview
von Silke Müller mit Oliver Ross
Silke Müller: Du bescherst uns ein kleines, aber sehr selbstbewusstes Objekt, das nicht nur gesehen werden will, seine Farbe wechselt und bunt leuchtet – es verweist auch auf zwei Superhelden der Kunst: Andy Warhol und Joseph Beuys.
Oliver Ross: Ich weiß nicht, ob man das jetzt so herausstellen muss. Vielleicht langt es auch, wenn einem das auffällt.
Silke Müller: Bei Dir heißt es: Kapital gleich Kapital, Kunst gleich Kunst. Fallen wir hinter die Ideen der beiden zurück?
Oliver Ross: Beuys hat ja gesagt, Kunst ist gleich Kapital. Und ich stell jetzt mal die These auf, dass daraus nicht viel geworden ist – weder gesellschaftlich noch für die Kunst. Beides ist doch mehr oder weniger bei sich geblieben, auch wenn mit Kunst manchmal viel Kohle gemacht wird. Diese Gleichungen, die nichts anderes mehr zulassen, außer sich selbst, sind diesbezüglich nicht gerade förderlich.
Silke Müller: Dies ist Deine erste dreidimensionale Edition für die griffelkunst. Hast du ein bestimmtes Zeichenvokabular? Das Gehirn beispielsweise taucht ja immer wieder auf.
Oliver Ross: Ich habe ein Konvolut an Zeichen, die auf die Wirklichkeit verweisen. Signifikant und Signifikat – mit dieser Sachlage hat es zu tun. Also da sind Brote drin, Fliegenpilze und zum Beispiel aufgeschnittene Kartoffeln. Ich habe einen digitalen Ordner, der heißt »Holz und Brot«. Das sind sozusagen Versorgungsdeterminanten, die tauchen immer wieder auf, genau wie Schrift und Linienstrukturen in unterschiedlicher Variation.
Silke Müller: Gibt es dann so Phasen, an denen du nur Holz oder nur Brot-Entwürfe zusammenstellst?
Oliver Ross: So nach Tagesform.
Silke Müller: Kunst ist ja auch Brot, oder?
Oliver Ross: Sollte es sein. Und Holz. Nahrung, aber nur selten »tatsächlich« essbar.
Silke Müller: Im aktuellen Sprachgebrauch ist die Kartoffel ja sehr präsent. Bist Du auch eine Kartoffel?
Oliver Ross: Ich bin voll die Kartoffel. Natürlich. Aber jeder ist doch manchmal ein Stihsel. Du meinst doch jetzt diese deutsche Kartoffel mit ihren ganz bestimmten Eigenschaften, oder? Warum nicht? Also klar, als Künstler muss man ja aus seiner Kultur heraustreten, für die Kunst. Und dafür sollte man natürlich auch erkennen, was einen so prägt. Sonst kann man das ja nicht.
Silke Müller: Und der Fliegenpilz wäre dann das Element des Heraustretens aus der festgeschriebenen Identität?
Oliver Ross: Der steht für halluzinatorische Wirkungen und Erweiterungen. Es ist kein Appell, Drogen zu nehmen, für mich steht der Fliegenpilz für eine Kultur, die aus den 60er Jahren kommt.
Silke Müller: Ich muss an diese Poster denken, die im Dunkeln leuchten, wo Pilze herauszuwachsen scheinen. Deine Arbeiten sind ja auch ein bisschen psychedelisch.
Oliver Ross: Genau, sie gehen aber nicht darin auf. Es gibt da diese Fliegenpilze, es gibt aber auch Atompilze. Also noch so eine Superikone. Auch der ist ja wieder total aktuell. Auf dem Cover eines amerikanischen Punk-Samplers war ein Atompilz drauf, den habe ich zum Beispiel als 16-Jähriger abgemalt und mir als Poster ins Jugendzimmer gehängt. Die Bands hatten geile Namen wie Bad Brains, Circle Jerks oder Social Unrest. Das war so aufmüpfiges Zeug.
Silke Müller: Dein Objekt ist ja auch ein aufmüpfiges Ding – es verlangt nach Strom, und selbst wenn man es unters Bett schiebt, könnte es noch darunter hervorleuchten.
Oliver Ross: Es spielt damit, dass man Kunst immer ins rechte Licht rücken will, einen Spot darauf richtet oder so etwas. Und man kann es auch bei totaler Dunkelheit anschauen. Der Strom kommt aber hoffentlich nicht vom Atom.
Silke Müller: Ein Widerspruch interessiert mich noch: Das Serielle und die gleichzeitige Autonomiebehauptung des Objekts. Die Basis ist ja eine Computergraphik, hinzu kommen von Hand gemalte Partien und eine automatisierte Veränderung durch das Licht, das einzelne Partien hervorhebt oder in den Hintergrund fallen lässt.
Oliver Ross: Genau. Das ist so ein Wunder. Wunder Punkt. Wunder durch Technik. Wunderbare Technik.
Einzelblätter
Kombinationsdrucke aus Inkjet-Druck, Siebdruck, Holzdruck und Kartoffeldruck
E 501
I: IHR NENNT ES ARBEIT – WIR NICHT 42,5 x 55,6 cm
E 502
II: IHR NENNT ES KUNST – WIR NOCH LANGE NICHT 42,5 x 55,6 cm
Handwerk hat goldene Synapsen
Es ist nicht leicht, sich in den Kosmos eines Oliver Ross zu begeben, ohne sich darin zu verlieren. In seinen Installationen, Collagen, Zeichnungen und Texten greift er auf vielfältigstes Bild-und Ausgangsmaterial zurück, alles ist sozusagen »vernetzt«. Bereits 2005 haben wir eine Serie des Künstlers verlegt, die sich mit der menschlichen Innenwelt und neurologischen Prozessen beschäftigt hat. Waren die sechs Motive damals im Offsetdruck realisiert, so setzt OIiver Ross in den aktuellen Arbeiten ein gigantisches Spektrum an Drucktechniken ein. Er selbst hat zur Kartoffel gegriffen und zusammen mit der Siebdruckerin Ena Klopp eine Farbe auf der Basis von löslichem Kaffeepulver entwickelt. Dadurch verstärkt er nicht nur den collagehaften Charakter seiner Bilder, sondern bringt auch einen leicht ironisierten Einsatz von Handwerk ein, der die Botschaft der Blätter unterstreicht – darüber kann der Künstler selbst viel besser schreiben:
ZWEIMAL KREUZWEISE
Zwei Statements aus dem rossologischen Contradictionary
Wer seid Ihr? Ihr nennt ES Arbeit, wir nicht! Wer sind wir? Ihr nennt ES Kunst, wir noch lange nicht! Man stelle sich Botschaften ohne eindeutig identifizierbaren Absender und Empfänger vor und schon ahnt man, was passiert: Die Zeichen kreisen um sich selbst, das Bezeichnete verbirgt sich im Modus der Fragwürdigkeit. Gott sei Dank, denn mal ehrlich: So ist es doch immer, auch wenn WIR (?) uns für Alltag und Berufsleben auf Verständigungsmöglichkeiten geeinigt haben. Denn man kann sich zwar nicht verstehen, aber man kann doch zumindest versuchen, sich zu verständigen. Zum Beispiel beim Gemüsehändler oder beim Händedruck: Wehe, wenn sich dabei das Hirn in den Rotkohl mischt oder Dir die Zuhandenheit multipel zum Syndrom gerät, dann wird es kompliziert. Besser, es bleibt getrennt: Welt und ich, auch wenn das nicht der Fall ist.
So sind denn auch die contradiktionären Aussagen dieser beiden Kombinationsdrucke gleichsam künstlich generierte Eindeutigkeiten aus dem rossologischen Sprachlabor. Im mehrdeutigen Gewimmel der Bildfragmente, die alle was bedeuten wollen, kämpfen sie um Aufmerksamkeit, denn es gilt: Willst Du verstanden werden, dann mach es nicht so kompliziert. Das sagt IHR zu uns? Da antworten WIR zackig: Die Kunst darf nicht nur, nein sie muss Verständigungsprobleme bereiten, denn sie ist das Andere und muss sich mehr denn je als dieses retten! Sonst ist alles verloren und verkommt in indentifikatorischen Zuschreibungen. Schon klar, dass der Apparat besser läuft, wenn die Rädchen an ihrem Plätzchen bleiben, aber uns interessiert eine andere Welt-Maschine. Spiegelverkehrt appelliert sie gleichzeitig an beide Hirnhälften, an die linke mit der Rotkohlstruktur und an die »normale« rechte. Lechts und Rinks, das kann man nicht verwachseln? Onten und uben, vinten und horne, issen und aunnen, wir reichen erstmal in alle Richtungen die Hand. Denn nur das Andersherum lässt uns gegenseitig als andere erahnen. Aber worum, zum Teufel geht es dabei? Ich habe es doch schon gesagt: Die Mysterien finden beim Gemüsehändler statt, wo Gott immer noch einkaufen darf, obwohl er pleite ist!
Rossology, 2014
Papierqualität: 230 g/qm Fuji Premium Matt Bond
Drucker: PigLab, Hamburg (Inkjet-Druck),
Ena Klopp, Hamburg (Siebdruck), Atelier für Druckgrafik, Hamburg (Holzdruck) und Oliver Ross (Kartoffeldruck)
B-REIHE, 317. WAHL, I. QUARTAL 2005
Farboffsetdrucke, 2005 65,4 x 90,1 cm / 59,4 x 84,1 cm
1. Zuhandenheit
2. Neuro futur
3. Analyse Diplom
4. Kosmophrenie
5. Mondrians Migräne
6. Materieller Plunder
Papierqualität: Profisilk, 250 g/qm
Drucker: Bahruth Druck & Medien GmbH, Reinbek
Im folgenden Text stellt der Hamburger Künstler Oliver Ross seine Edition selbst vor. Er vermag dabei auf sprachlicher Ebene eine ähnliche Dichte zu erzeugen wie in seinen stark farbigen Bildern, die vor Detailreichtum förmlich zu bersten scheinen. Zeichnungen, Installationsphotos von eigenen Arbeiten und bearbeitete Vorlagen aus der Welt der Logos, des Konsums, des Essbaren gehen darin mit Regenbogen, Datennetzen und Seifenblasen eine erstaunlich homogene Beziehung ein. Das Erkennen und Wiedererkennen der Dinge ermöglicht zahlreiche Einstiegsmöglichkeiten, Frageworte und Textzeilen kommentieren kontrastierend, metasprachlich und humorvoll die Auseinandersetzung mit dem Material.
In diesen sechs Graphiken wollen wir die menschliche Innenwelt als eine übervolle Erfindung vorstellen. Man kennt dieses Kulturprodukt unter den Namen „Seele“ oder „Bewusstsein“ und spricht in diesem Zusammenhang heutzutage meistens auch vom „Gehirn“ oder von „neuronalen Mustern“. Die sechs Drucke können also als Versuche betrachtet werden, seelen-, bewusstseins- und neurorelevantes Bildmaterial am Computer problem-dynamisch zu synthetisieren. Derartige Problematisierungen sind vielleicht nicht zuletzt deswegen von Interesse, weil neben uns (Unterhaltungs-)Künstlern und Kunstvermittlern auch viele andere Berufssparten ihr Geld mit der sogenannten Innenwelt verdienen.
Im Folgenden sei auf einige Inhalte, die bei diesem „erkenntnistheoretischen Design“ von Interesse waren, hingewiesen:
Die verzerrten Hände („Zuhandenheit“) mit ihrer neurotisch brennenden Haut zeigen uns vielleicht als Einstieg das Dilemma eines gewichtigen Teils oben bereits erwähnter Tradition: Damit meine ich die Handarbeit, um nicht zu sagen das Kunsthandwerk. Denn durch das Digitale verändert sich unser Verhältnis zur Welt, vor allem, wenn man sich einen Rechner vorstellt, der qua Direktanschluss ans Gehirn ohne Maus oder Zeichenpad auskommt: „Neuro Futur“! Der ganze „Materielle Plunder“ verliert also Gewicht bei seiner Umwandlung in digitale Daten, aber verliert er dadurch auch an Gehalt? Die rein visuelle Bildinformation, an die der Offsetdruck durch seine Oberflächlichkeit erinnert, hat allerdings auch Vorteile, wenn man an das durch erfindungsreiche Imagination verstellte Reale heranreichen möchte. Denn man hat doch oft den Eindruck, dass „alles“ nur ein Traum ist, z.B. in den Kaufhäusern und Supermärkten euro-amerikanischer Prägung oder bei McDonald’s.
Wir leben im Zeitalter von Überinformation und Lifestyle. Somit kann einem von daher die eigene Innenwelt als überfüllt vorkommen, und somit erscheint auch mein „Analyse Diplom“ als ein konsequentes Abbild dieser bildlichen und begrifflichen Erfahrung. (Das heute weit verbreitete Gefühl der „Leere“ hat vielleicht seinen Grund in der Entscheidungsnot angesichts des Überangebots und ist wohl Ausdruck einer gewissen emotionalen Erschöpfung.) Psycho-Analysen sind ja tendenziell endlos, vielleicht nur deshalb, weil auch die Analytiker ein Leben lang Geld verdienen müssen. Oder liegt es doch an der Wunsch-Produktion des Unbewussten und an der Eigenart des Signifikanten, dass es sich nie mit dem Realen zur Deckung bringen lässt? Wenn es das Unbewusste nicht gibt, so müsste man es erfinden. Ob Erfindung oder nicht, es ist heutzutage kosmophren, das heißt, in seiner Not des Eingelassenseins in eine umfassende Sphäre, der wohl eher im Bild als in der Schrift beizukommen wäre, gespalten. „Phren“ ließe sich mit „Gemüt“ übersetzen, also hier wird das Gemüt als der enttäuschte Sitz des All-Gefühls vorgestellt. Von daher ließe sich auch der Globalismus befragen. Wir West-Menschen leben heute im naturwissenschaftlich erkalteten Raum einer Unendlichkeit ohne Götter und ohne Engelswesen. Das ist ein Problem! Denn angesichts unserer Sterblichkeit sind wir auf Gnade angewiesen, im kalten Weltraum mit seinen radioaktiven Wärmeinseln (Sonnen) kann man aber keine Gnade mehr finden, auch nicht bei der Suche nach extraterrestrischen Lebensformen. „Mondrian’s Migräne“ stelle ich mir deshalb als einen visuellen Kopfschmerz vor, der seinen Ursprung in der uneingestandenen Tatsache hat, dass die Universalien, also die Zeichen einer reinen Welt-Vernunft, vom gespürten und gefühlten Hier-sein ablenken. Somit verstellen sie uns womöglich das Einzige, was wir erfahren können, durch falsche Hoffnungen. Daher gibt es vielleicht auch so viel Aufbruch in diesen Bildern hier, „broken Mondrian all over“! Oder verweisen all diese Explosionen und Implosionen auf mögliche Ursachen des globalen Terrorismus? Pixel können mit der Photoshop-Lupe als Mini-Universalien indentifiziert werden und ähneln den bunten Kacheln von Mondrian. Die grundlegendste Differenz digitaler Bilder ist aber nicht die zwischen blau, rot und gelb, sondern eher zwischen 0 und 1, „ja“ und „nein“ oder Strom an/Strom aus. Jedoch erscheint mir ein Leben mit derartig reduzierter Information auf die Dauer als ungenießbar und daher möchte ich behaupten: Kunst sollte nicht geschmäcklerisch sein, ist aber sicher schon immer auch eine Geschmacksache gewesen (s. Schokoladen-Quadrate). Jetzt noch über den Zusammenhang zwischen Geld und Scheiße zu spekulieren, führt hier erst mal zu weit. Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Oliver Ross
Oliver Ross
1967 geboren in München