A-Reihe, 336. Wahl, IV. Quartal 2009
Abstrakte Photographie
Photographien aus dem Nachlass
1. ohne Titel (Komposition mit Kerze), 1923 30,4 x 24,0 cm / 18,5 x 19,0 cm
2. ohne Titel (abstrakte Komposition mit Licht und Glas), 1932 30,4 x 24,0 cm / 24,5 x 18,5 cm
3. ohne Titel (Komposition mit Apfel), ca. 1959 30,4 x 24,0 cm / 20,0 x 18,8 cm
4. ohne Titel (Photomontage mit Ei und Eiffelturm), ca. 1959 30,4 x 24,0 cm / 20,5 x 18,8 cm
5. ohne Titel (abstrakte Komposition mit Blume), ca. 1960 30,4 x 24,0 cm / 24,7 x 18,8 cm
6. ohne Titel (abstrakte Komposition mit Blume), ca. 1961 30,4 x 24,0 cm / 24,7 x 18,8 cm
Serie mit Mappe und Textheft
Papierqualität: Ilfobrom Galerie
Hersteller: Atelier Margotow, Wahlershausen
Mappe: Archivkarton mit Leinenrücken
Hersteller Mappe: Christian Zwang, Hamburg
In unserer Mappenreihe zu wichtigen Positionen der Photographiegeschichte stellen wir dieses Mal mit Jaroslav Rössler (1902-1990) einen bedeutenden Vertreter der tschechischen Avantgarde vor. Um die Nachlässe seiner berühmten Landsleute Jaromir Funke, Jindrich Styrsky, Frantisek Drtikol und Josef Sudek ist die griffelkunst ebenfalls bemüht, so dass wir hoffen, den spannenden Einblick in die tschechische Photographie, den uns die aktuelle Edition gewährt, beizeiten durch weitere Portfolios ergänzen zu können. Erst zu Beginn dieses Jahres fand in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn die große Übersichtsschau „Tschechische Photographie des 20. Jahrhunderts“ statt, die die große Bedeutung der tschechischen Künstler und Künstlerinnen belegt. Zunächst freuen wir uns jedoch, dank der freundlichen Zustimmung der Rössler-Erben, sechs Photographien von den in ihrem Besitz befindlichen Originalnegativen auflegen zu können. Der in Prag lebenden Kuratorin Suzanne Pastor danken wir herzlich für ihre engagierte Unterstützung beim Zustandekommen der Edition und für den kunsthistorischen Begleittext zu der Mappe, auf dem auch die folgende Kurzfassung basiert.
Rössler war fünfzehn Jahre alt, als er während des Ersten Weltkriegs als Lehrling in das Prager Atelier des berühmten Frantisek Drtikol eintrat, einem etwas exzentrischen Meisterphotographen, der Rösslers frühester Mentor wurde. Dort lernte er zunächst die handwerkliche Seite der Technik, begann jedoch parallel dazu auch zu zeichnen, zu malen und auftragsunabhängig zu photographieren. In den 1920er Jahren entwickelte Rössler ein großes Interesse an allem, was mit dem neuen Medium des Radios zu tun hatte. Elemente dieser Technologie – Röhren, Kopfhörer und Einstellknöpfe – wurden zu Objekten seiner Zeichnungen und Photographien.
1924 wurden seine Bilder auf der 19. Exposition der Société Française de Photographie in Paris gezeigt und 1926 beteiligte Rössler sich als eines der jüngsten Mitglieder der einflussreichen Prager Künstlergruppe Devetsil („neun Mächte“) an einer gemeinsamen Ausstellung im Prager Rudolfinum. Charakteristisch für seine dort gezeigten Arbeiten, die als eine Art von poetischem Konstruktivismus definiert werden können, waren Konstruktionen von Licht und Schatten mit flachen, geometrischen Oberflächen.
Rössler hielt sich von 1925 bis 1935 mit Unterbrechungen immer wieder in Paris auf und arbeitete dort für verschiedene Werbeateliers – zunächst für Manuel Frères, dann für den etablierten Studio- und Aktphotographen Lucien Lorelle. Wenn auch seine Werbephotographien heute als Kunstwerke betrachtet werden, so bilden Rösslers private schöpferische Arbeiten nach dem Kriegsende 1945 bis zu seinem Tod 1990 den faszinierenden Teil seines Oeuvres: imaginäre Landschaften, abstrakte Kompositionen, Negativ-Drucke, Abzüge von mehreren Negativen, Solarisationen, Aufnahmen mittels Prismen.
Rösslers erstaunlich frühen Beiträge zur modernen photographischen Ästhetik stellen ihn in eine Reihe mit zeitgenössischen Künstlern wie Man Ray, László Moholy-Nagy, Alvin Langdon Coburn, Francis Bruguière. Von den Protagonisten der Neuen Sachlichkeit wie Paul Strand, Edward Weston oder Albert Renger-Patzsch, die die Schönheit der Realität abzulichten versuchten, unterscheidet ihn sein experimenteller Gebrauch der Technik und sein Drang danach, mit Licht abstrakte Bilder zu komponieren – Bilder, die der Welt der Malerei oder des abstrakten Films viel näher sind, als die rein abbildende Photographie.
1991 fand im neugegründeten Prager Haus der Photographie ein Jahr nach Rösslers Tod die erste große Retrospektive seiner Werke statt, kuratiert von Suzanne Pastor. 2001 folgte eine zweite große Ausstellung im Prager Museum für Kunst und Gewerbe. Eine der wichtigsten Publikationen über Rösslers Gesamtwerk ist der 2004 vom MIT in Cambridge herausgegebene Katalog „Jaroslav Rössler. Czech Avant-Garde Photographer“ von Vladimir Birgus und Jan Mlcoch.