Audioguide
B-Reihe / 371. Wahl
III. Quartal 2018
Holzdrucke
371 B1–3 Titel collagiert und gestempelt
jeweils 78,5 × 56,5 cm / 60,0 × 45,0 cm
1. Астра альпийская (Aster alpinus), aus der Serie Flora Sibirica
2. Лилия кудреватая (Lilium martagon), aus der Serie Flora Sibirica
3. Ирис низкий (Iris humilis), aus der Serie Flora Sibirica
4. Oh Herr, vergib das generische Maskulinum
5. Wir beten für das Binnen-I
6. #MeToo
Papierqualität: 350 g/qm Alt Worms
Drucker: Grafikwerkstatt Dresden, Udo Haufe
Kunst und Bananen
von Dirk Dobke
Lukas Pusch ist Performer und Filmemacher, akademisch ausgebildeter Maler und Zeichner, post-dadaistischer Collagist und einer der wichtigen Künstlerbuchgestalter. Alle seine Darstellungsformen verbindet sein ironisch-analytischer Blick auf unsere Gesellschaft und ihre politischen, religiösen oder künstlerischen Diskurse. Als Druckgraphiker dient ihm vor allem der Holzschnitt als vergleichsweise klassisches Verbreitungsmedium, das für ihn immer auch »etwas Plakatives« hat, wie er sagt. Für uns hat er zwei 3er-Serien im Farbholzschnitt entwickelt, die ganz unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen entstammen.
In Nairobi realisiert er 2006 die Performance Vienna Voodoo. Im weißen Dinnerjacket mit Smokinghemd und Fliege lustwandelt er, dabei scheinbar genüsslich eine Zigarre rauchend, durch Mathare, eines der größten Slums der Dritten Welt; 500.000 Menschen leben hier in einer Parallelgesellschaft ohne Strom und Kanalisation. Pusch performt in Herrenmensch-Attitüde wie er – Stellvertreter unseres westlichen Blicks – kalt auf das wirkliche
Elend und Sterben im Ghetto blickt. Später richtet er dort ein TV-Studio ein und lehrt den Umgang mit dem technischen Equipment. Seitdem wird dort Fernsehen gemacht von den Bewohnern für die Bewohner des Slums. Aus Mangel an Strom und Geräten werden die Sendungen von DVDs öffentlich projiziert.
Neben Wien lebt und arbeitet Pusch in Sibiren. »Kunst in Novosibirsk gibt‘s im Keller oder im Parteipalast, aber nicht auf der Straße,« erklärt Pusch. Um die Gegenwartskunst öffentlicher zu machen, veranstaltet er mit Freunden eine feierliche Gemälde-Prozession durch die Straßen der sibirischen Hauptstadt. Der Umzug wird zum performativen Festival der dortigen Kunstszene. 2008 gründet er die White Cube Gallery Novosibirsk. Als Ort dient ihm eine typisch sowjetische Blechgarage. Auf einer ungenutzten Grünfläche platziert und mit einem gebastelten Galerie-Schild auf dem Dach lässt er sie zur Guerilla-Galerie und damit zu einem seriösen Ort für zeitgenössische sibirische Kunst werden. 2011 verlädt er die Garage auf einen LKW Typ ZIL 130 und fährt sie 6.000 km bis nach Köln. Die Art Cologne hatte ihn eingeladen, seine White Cube Gallery Novosibirsk als Außenskulptur zu zeigen.
2017 durfte Pusch eine Gruppe von Biologen nach Kamchatka begleiten, um die Flora Sibiriens zu malen und zu zeichnen. Daraus sind neben etlichen Zeichnungen und Gemälden drei fast klassisch zu nennende Farbholzschnitte für uns entstanden.
Koran und Banane hieß seine Aktion in Chemnitz 2015: Als Moslem verkleidet und mit einer Muslima in Burka an seiner Seite verteilte er vor dem berühmten Karl-Marx-Denkmal gönnerhaft Bananen – zum Symbol gewordene Begrüßungsgeschenke der Wiedervereinigung – an die Bürger der Stadt.
In seiner Kritik bleibt Pusch künstlerisch eigensinnig, undogmatisch und ironisch. In unserer Edition thematisiert er den sich aus seiner Sicht immer absurder artikulierenden Genderwahn, indem er betende Hände mit dem Zusatz: »Wir beten für das Binnen-I« versieht und einen Christuskopf mit den flehenden Worten: »O Herr, vergib das generische Maskulinum« kommentiert. Die #MeToo-Debatte greift er provokativ auf, indem er die Mutter Gottes mit dem MeToo Hashtag untertitelt und so ein ganz neues Licht auf den ungeklärten Ursprung ihrer Schwangerschaft wirft…
Puschs Arbeiten und Aktionen verbindet ein ironisch-böser und zugleich humorvoller Blick auf unsere Gesellschaft. Er ist verletzt und aufgebracht von gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und fest davon überzeugt, dass die Kunst ihren Anteil daran haben kann, auf diese Missstände hinzuweisen.
Lukas Pusch, geboren 1970, studierte Malerei an der Universität für angewandte Kunst in Wien, dem Surikov Institut in Moskau und der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Er lebt und arbeitet in Wien und Sibirien. Derzeit arbeitet er an einem sibirischen Kunst- und Dokumentarfilmprojekt.
Ausstellungen und Projekte
2017 Art Center Kamtschatka, Russland
2015 Deutsche Moscheen, CAT Cologne, Köln
2011 Neues Tahiti, Galerie Ernst Hilger, Wien
Die PRESSE Mappe, Albertina, Wien
2010 Lebt und arbeitet in Wien, Kunsthalle Wien
2008 Gründung der White Cube Gallery Novosibirsk
2006 Gründung von Slum TV, lokaler TV Sender in Mathare, Nairobi
Publikation
Lukas Pusch, Flora Sibirca, 2017