E 402 „Hintertuxergletscher XXIII 2004“, 2005
Farbphotographie-Diptychon in einer Mappe
Installationsmaß 40,0 x 60,0 cm
Papierqualität: Kodak Professional Endura
Hersteller: Eigenproduktion Papierqualität
Mappe: Buchbinderpappe, säurefrei
Hersteller: Norddeutsche Pappscheiben-Fabrik, Hamburg-Stapelfeld
Das für die griffelkunst verlegte Diptychon Hintertuxergletscher ist einzureihen in Walter Niedermayrs Photographien hochalpiner Landschaften. Mit diesem Werkkomplex, an dem er seit über fünfzehn Jahren arbeitet, ist der Südtiroler Künstler in den 90er Jahren bekannt geworden und hat sich, wie Stephan Berg in seinem Beitrag zu dem Katalog Zivile Operationen anmerkt „...neben der so genannten Becher-Klasse und ihren Stars einen völlig eigenständigen Platz im internationalen Kunstkontext erobert…“. Dabei nähert sich der am Rande der Dolomiten lebende Künstler dem mit Sehnsüchten und Klischees behafteten Sujet der erhabenen Bergwelt mit nüchterner, konzeptueller Distanz. Allerdings ist er nicht an dem Ereignis der außergewöhnlichen Landschaft interessiert, sondern er konzentriert sich auf die Präsenz des Menschen in der Landschaft. Seine Photographien eröffnen Blicke auf Gletscher, Felswände und steile Abhänge. Skilifte, Wege oder Berghütten, die man oft erst auf den zweiten Blick bemerkt, kennzeichnen die Natur als eine von der Zivilisation in Besitz genommene. Menschen, die Gletscher besichtigen oder ihrem touristischen Freizeitvergnügen in Form von Skifahren oder Snowborden nachgehen, wirken in den landschaftlichen Weiten wie Ameisen. Sie werden in den Aufnahmen, deren räumliche Ausdehnung und Tiefe Niedermayr durch nachträgliche Unterbelichtung ins Flächige und damit Grundlose transponiert, zu signifikanten graphischen Elementen. Dabei geht es weniger um die Definition bestimmter Orte, als um die Bewegung, die an ihnen stattfindet.
Photographische Dokumentation, Konstruktion von Bildräumen und Interpretation gehen in seinen Arbeiten Hand in Hand mit der Frage nach den Möglichkeiten der Wiedergabe räumlicher Erfahrung. Da sich diese immer aus verschiedenen Perspektiven erschließt, legt der Künstler seine Photoarbeiten stets mehrteilig an. Dabei kommt es zu Überlappungen, Verdoppelungen und Brüchen, zu minimalen zeitlichen und bildräumlichen Verschiebungen, die, so Niedermayr, „den Kurzschluss zwischen Wirklichkeit und Bild immer wieder unterlaufen“. In dem Diptychon mit dem viel versprechenden Titel Hintertuxergletscher XXIII 2004 enttäuscht er in jeglicher Hinsicht unsere Erwartungshaltungen. Es bietet sich uns kein Panoramablick auf den Gletscher, sondern der Künstler zeigt uns eine betonierte Aussichtsplattform, auf der sich einige Touristen befinden. Vor uns in der Mitte ragt ein aus Sicherheitsgründen durch Stahlnetze zusammen gezurrter Felstrümmerhaufen auf, der aufgrund der perspektivischen Überlappung der zwei Bildteile ins Gigantische vergrößert erscheint. Walter Niedermayr ist kein ironischer Künstler, es ist ihm auch nicht direkt an einer Kritik des Massentourismus in unerschlossene, letzte Idyllen gelegen. Vielmehr ist er ein stiller Beobachter, dessen Sichtweise für die Absurditäten zivilisatorischer Eingriffe in die Natur zu sensibilisieren vermag. Darüber hinaus ist er ein Photograph, der mit den Vorstellungen die wir in uns tragen, spielt, sie befragt und in ein neues, unsentimentales Verhältnis zur Realität rückt.
Beate Ermacora
Walter Niedermayr
1952 geboren in Bozen