C-REIHE, 326. WAHL, II. QUARTAL 2007
Aus der Folge Vom Tode II (1898-1910)
Radierungen aus dem Nachlass, 2007
1. Integer vitae 76,0 x 56,5 cm / 41,0 x 31,0 cm
2. Elend 76,0 x 56,5 cm / 45,0 x 35,0 cm
3. An die Schönheit 76,0 x 56,5 cm / 41,5 x 31,0 cm
4. Philosoph 76,0 x 56,5 cm / 49,7 x 33,0 cm
5. Krieg 76,0 x 56,5 cm / 51,0 x 33,0 cm
Papierqualität: 270 g/qm Canson Gravure Naturel
Drucker: Kunst- und Radierwerkstatt W. Jesse, Inh. D. u. M. Jäger, Berlin
Max Klingers „Griffelkunst“ Max Klinger wurde am 18.2.1857 in Leipzig geboren und starb 1920 in Großjena/ Naumburg. Er prägte in seiner theoretischen Schrift Malerei und Zeichnung (1891) den Begriff der „Griffelkunst“. In seinem originellen Traktat bezeichnete er die „Griffelkunst“ einerseits als „Ergänzung“ von Malerei und Skulptur, andererseits ganz selbstbewusst als die „produktivste aller bildenden Künste“. Im imponierenden Lebenswerk Klingers nimmt die „Griffelkunst“ neben der Malerei und der Skulptur einen herausragenden Platz ein. Die Griffelkunst-Vereinigung Hamburg ehrt ihren Namengeber zu seinem 150. Geburtstag mit fünf Neuabzügen von den Originalplatten Klingers, die sich in der Graphischen Sammlung des Museums der bildenden Künste in Leipzig befinden, aus dessen Folge Vom Tode II.
Max Klingers Folge Vom Tode II
Vom Tode II. Opus XIII (1898-1910) besteht aus 12 Radierungen und Kupferstichen. Der Folge war 1889 Vom Tode I vorausgegangen. Max Klinger hat den Unterschied der beiden druckgraphischen Zyklen so charakterisiert, dass den „kleinen Zufällen die großen Prinzipien, dem äußeren Schrecken die innere Auflösung desselben entgegengesetzt werden, so daß ein harmonischer Abschluß ermöglicht wird“. Jenseits des individuellen Schicksals wollte Klinger in Vom Tode II also „die allgemeine Vergänglichkeit“ in gleichsam philosophischen Bildern darstellen. Das Motto seines Titelblattes Integer vitae entlehnte Klinger einer Ode des Dichters Horaz „Integer vitae scelerisque purus.“ (Wer im Wandel rein und frei von Schuld ist, den zieht der Tod nicht an). Der Nackte im Vordergrund bewegt sich dem Abgrund zu, von dem Buddha, Moses, Christus und Zeus am rechten Bildrand im Angesichte des Giganten mit Stundenglas und Vulkan bereits verschlungen werden.
Der Philosoph (Blatt 3) ist eine der rätselhaftesten Radierungen Klingers. Mit der ausgestreckten Rechten berührt er sein Spiegelbild, überlebensgroß liegt vor ihm eine schlafende Frau. Das mysteriöse Blatt ist mit Schopenhauer in Verbindung gebracht worden: „Sich selbst aber kann das erkennende Subjekt nicht erkennen, weil nämlich an ihm nichts zu erkennen ist, als eben nur, daß es das Erkennende sei, eben darum aber nicht das Erkannte“. Der Philosoph nimmt nur seine leibliche Existenz wahr, die dem Individuum ein leidvolles Dasein garantiert. Schopenhauers pessimistische Philosophie ist nicht nur mit dem Blatt drei in Verbindung gebracht worden, sondern prägte auch die Weltsicht Klingers: Vor allem Schopenhauers Parerga und Paralipomena gehörte lange, wie er schrieb, zu seinem „täglichen literarischen Futter“. Krieg (Blatt sechs) und Elend (Blatt sieben) sind die Konstanten eines Daseins in Leid und Tod.
Klingers „harmonischer Abschluss“ seiner Folge ist das Blatt zwölf An die Schönheit. Ein nackter Jüngling ist am Ufer des Meeres in die Knie gegangen und verneigt sich ergriffen vor der „Schönheit“. Die Radierung ist der versöhnliche Schluss der Folge und eine Schlüsselbotschaft von der Unvergänglichkeit der Kunst. An die Schönheit ist ein zentrales Postulat Klingers, das seine ästhetischen Vorstellungen eindrucksvoll zusammenfasst.
Dr. Richard Hüttel Leiter der Graphischen Sammlung des Museums der bildenden Künste Leipzig