B-Reihe / 350. Wahl II. Quartal 2013
Radierungen
64 x 48 cm / 49 x 37 cm
Garnicula
1. Charic
2. Longinu
3. Bergari
4. Mnester
5. Gemell
6. Procul
Papierqualität: 250 g/qm Alt Bern Zerkall Bütten
Drucker: Atelier für Druckgrafik Hamburg
Schattenwelten
von Brigitte Bedei
Carnigula ist der Titel einer Reihe großformatiger Bilder von Henning Kles, die um die Jahreswende 2010/2011 entstanden sind. Es sind Assemblagen lebloser Gegenstände, wie Waffen, Knochen, Schrumpfköpfe, Flaggen und Traumfänger, die zu einer Art Mastbaum aufgeständert sind. Einem Schattenriss gleich ist nur die Silhouette der Gegenstände erkennbar. Für seine Bilder benutzt Henning Kles ein eher unkonventionelles Malmittel, das eigentlich im Baugewerbe zum Abdichten von Dächern Verwendung findet: Bitumen. Er malt mit der ungiftigen Variante, Bitumenemulsion, die er zunächst flächendeckend auf die Leinwand aufträgt und schließlich komplett mit Klebestreifen abklebt. Die am Computer aus verschiedenen Vorlagen gesampelte Bildskizze projiziert er auf die abgeklebte Fläche und überträgt sie direkt darauf. Teile der abgeklebten Fläche werden mit dem Cutter wieder herausgeschnitten und das Bitumen mit Balsamterpentin ausgewaschen. Die Zeichnung selbst, die von den Klebestreifen verdeckt wurde, bleibt schwarz. So entsteht in einem substraktiven Prozess das Bild, das durch die Terpentinverwischungen sehr malerische Qualitäten aufweist.
Dieser Prozess von Kles Malerei ähnelt dem Verfahren zur Herstellung einer Aquatinta Radierung. Wir haben Henning Kles eingeladen, seine beeindruckenden, schon in der Malerei sehr graphisch wirkenden Bilder in die Druckgraphik zu überführen. In Zusammenarbeit mit Daniel Vogler und Lars Dahms vom Atelier für Druckgrafik Hamburg ist ihm dieses hervorragend gelungen. Entstanden ist eine Serie von sechs Radierungen, die sowohl formal als auch inhaltlich an die Carnigula Serie anschließt, wie auch der Titel Garnicula, in dem nur ein Buchstabe ausgetauscht wurde, zeigt. Statt Bitumenemulsion auf die Leinwand aufzutragen, wird die Kupferplatte mit einer Aquatintaschicht versehen, die wiederum komplett abgeklebt und mit einer Vorzeichnung versehen wird. Mit Hilfe des Cutters wird das eigentliche Motiv abgenommen, im Säurebad in zwei bis drei Stufen geätzt und schließlich schwarz eingefärbt. Dabei entstehen scherenschnittartige Formen in abgestuften Hell-Dunkel-Kontrasten. Verwischungen sorgen im Hintergrund für einen wolkig-changierenden Plattenton.
Die Bildwelt in Henning Kles Radierungen ist martialisch und opulent. In der Form insgesamt reduzierter, scheinen sie wie Miniaturausgaben der großformatigen Bilder. Dabei haben sie nichts von ihrer unterschwellig bedrohlichen Atmosphäre eingebüßt. Gleichzeitig haben die aufgetürmten, meist symmetrisch angeordneten Gegenstände in ihrer Überhöhung etwas ironisch-groteskes. Unwillkürlich assoziiert man Hafen, Freibeuter, Treibgut, denkt an große Schiffsaufbauten und abenteuerliche Reisen durch die Weltmeere. Wie in einer losen Bildergeschichte oder einer comicähnlichen Erzählung zieht uns Henning Kles mit seinem Mix aus medialen Fundstücken in einen assoziativen Sog, der sich zwischen schaurig-schön und phantastisch-unheimlich bewegt.
E 439 Unickron, 2008
Radierung
71,0 x 54,0 cm / 49,0 x 39,5 cm
E 440 Tik, Tik, Tik, 2008
Radierung
71,0 x 54,0 cm/45,0 x 39,5 cm
Papierqualität: 270 g/qm Zerkall Bütten
Drucker: Kunst- und Radierwerkstatt W. Jesse, Inh. Jäger, Berlin
Die Bilder des Hamburger Malers Henning Kles sind erzählerisch und rätselhaft zugleich. Sie waren erstmals in der „Geschichtenerzähler“– Ausstellung der Hamburger Galerie der Gegenwart ausgestellt und sind jetzt auch wieder als Teil der Sammlung im Rahmen der Ausstellung „Weltempfänger“ zu sehen. Abgründig und geheimnisvoll berichten seine Arbeiten von möglichen Vorkommnissen aus einer medial vermittelten Welt. Das, worum es eigentlich geht, spielt sich in den Zwischenräumen ab, die durch die vielfachen Brüche in seinen Gemälden erst eröffnet werden. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Technik der Montage, derer sich der Maler bei seinen Bildkompositionen bedient. Sein Material sind Nachrichten- und Werbephotos genauso wie Filmstills aus Science Fiction-, Horror- und Western- filmen. Die einzelnen Versatzstücke verweisen auf den Kontext, aus dem sie stammen, und entwickeln in dem neuen Arrangement ein unheimliches Eigenleben.
Die Reduktion der Mittel in der Druckgraphik kommt seiner Arbeitsweise dabei entgegen und lässt das graphische Gerüst seiner Bilder sichtbar werden. Die Orte des Geschehens sind nur angedeutet und wirken kulissenhaft. Durch die dramatischen Lichtverhältnisse liegen Teile des Bildes völlig im Dunkeln und nur wie durch einen Spot belichtet öffnet sich ein irreal anmutender Bühnenraum. Hier lässt Kles die für seine Arbeit charakteristischen Figuren auftreten: Die Protagonisten seiner Bilder sind Märchen- und Heldenfiguren, Kinder und Jugendliche, aber auch Obdachlose und andere Randgänger der Gesellschaft. Es umgibt sie eine gewisse Einsamkeit und Orientierungslosigkeit, eine Verwunderung über den merkwürdigen Ort, an dem sie gelandet sind. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das Spiel mit Wahrnehmungsmustern und Größenunterschieden. So lässt die überdimensionierte Transformer-Figur im Zentrum des Blattes Unickron die Menschen in ihrer Nähe unverhältnismäßig klein aussehen und angesichts der Übermacht des Zitats aus der Popkultur regelrecht erstarren.
Henning Kles
1970 geboren in Hamburg