Projekt-Reihe / 351./352. Wahl III./IV. Quartal 2013
Heliogravüren
Sun Tzu – The Art of War
50 x 39 cm / ca. 22 x 14 cm
P25 First lesson: All warfare is based on deception.
P26 Second lesson: In the midst of chaos there is also opportunity.
P27 Third lesson: All we need to do is to throw something odd and unaccountable in his way.
P28 Fourth lesson: Subtle and insubstantial, the expert leaves no trace.
P29 Fifth lesson: Even though you are competent, appear to be incompetent.
P30 Sixth lesson: Attack like fire and be still like a mountain.
Serie mit Mappe
Papier: 300 g/qm Hahnemühle Bütten
Drucker: Kunst- und Radierwerkstatt W. Jesse, Inh. M. Jäger, Berlin
Sechs Lektionen für ein unbeschriebenes Blatt Papier
von Brigitte Bedei
Luis Camnitzer wurde 1937 in Lübeck geboren und wuchs in Montevideo, Uruguay auf, wohin seine Eltern im Januar 1939 geflohen waren. Seit 1964 lebt er in New York City. Camnitzer gilt als herausragender Vertreter einer politischen Konzeptkunst. International bekannt ist er nicht nur als Künstler, sondern auch als Kritiker, Kurator, Pädagoge und Kunsttheoretiker. Seine Ausdrucksformen sind ebenso vielfältig und reichen von Zeichnung und Photographie über Druckgraphik, Text-Bild-Objekte bis hin zu Installationen. Seit den Sechzigerjahren stellt er auf vielerlei Ebenen Fragen nach der sozialen Bedeutung von Kunst, der Beziehung zwischen Künstler und Betrachter sowie der vielschichtigen Verflechtung von Sprache und Macht. Das geschriebene Wort ist dabei eines der bevorzugten Ausdrucksformen von Luis Camnitzer.
In seinem Werk spielt das Medium Druckgraphik eine entscheidende Rolle. Aus ihr heraus entwickelte Camnitzer schon sehr früh seine künstlerische Haltung. Zusammen mit Liliana Porter und José Guillermo Castillo gründete er den New York Graphic Workshop mit dem Ziel, die künstlerische Druckgraphik als Edition zu schaffen, und damit andere Materialien und Verfahren zu erlauben und kostengünstig an ein großes Publikum zu vertreiben. Die Druckgraphik, so seine These, sei ein von seiner ureigensten inneren Zielsetzung, seiner demokratischen Informationsvermittlung entfremdetes Territorium geworden. Anstatt ernsthaft einzuwirken auf die Art und Weise, wie wir Dinge sehen und wie wir denken, sei sie zu einer Kolonie der Künste geworden, die ihre ganze Kraft auf technisches Raffinement lege. Eine seiner bekanntesten druckgraphischen Arbeiten ist die Photoradierung From the Uruguayan Tortures Series von 1983, in welcher der Künstler auf reale Geschehnisse im Zusammenhang mit der Verfolgung von Mitgliedern der nationalen Befreiungsbewegung der Tupamaros Bezug und demokratische Opposition gegen die Diktatur nimmt. Die Serie war 2002 auf der Documenta 11 in Kassel zu sehen.
Sun Tzu, The Art of War ist der Titel der Serie, die Luis Camnitzer für die griffelkunst entwickelt hat. Sun Tzu war ein chinesischer General, Militärstratege und Philosoph, der um 500 v. Chr. lebte. Mit seinem Buch The Art of War hat er vor mehr als 2.500 Jahren ein Werk geschaffen, das bis heute als eines der bedeutendsten Schriften zum Thema Strategie gilt. In 13 Kapitel und 68 Thesen gegliedert, geht es auf die unterschiedlichsten Aspekte der Kriegsvorbereitung und Kriegsführung sowie deren Rahmenbedingungen ein. Luis Camnitzer verwendet für seine Arbeit sechs überlieferte Originalzitate des chinesischen Kriegsführers, die er jeweils handschriftlich in englischer Sprache unter ein ausgerissenes Ringbuchblatt setzt. Das Blatt weist meist minimale Eingriffe auf: mal ist es in der Mitte gefaltet, mal zerknüllt. Der Künstler überführt die kriegsstrategisch angelegten Lektionen humorvoll in eine neue Bedeutung, wenn er die Worte Sun Tzus verschieden bearbeitete, unbeschriebene Papiere kommentieren lässt. Für Camnitzer lassen sich die Lektionen, die im Kriegskontext abwegig oder gar zynisch wirken, auf vielerlei Lebensbereiche übertragen, in denen sie durchaus richtungsweisend wirken können. So lautet die zweite Lektion: In the midst of chaos there is also opportunity. Camnitzer setzt diesen Satz unter ein leeres Blatt Papier, das nur an den Rändern noch die vorgegebenen Linien der ursprünglichen Bindung aufweist: Chaos ist für ihn ein Nullpunkt, der gleichzeitig den Ausgangspunkt für jede Handlung darstellt – wie ein leeres Blatt Papier, das als Sinnbild für den Beginn von kreativem Schaffen gesehen werden kann.
Luis Camnitzer
1937 geboren in Lübeck